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Wann ist eine Wohnung wirklich barrierefrei?

Barrierefreiheit beginnt bereits bei der Planung. Flexible Lösungen ermöglichen nicht nur Menschen mit Behinderung einen unkomplizierten und gefahrenlosen Alltag, sondern führen auch im Alter trotz optischer, motorischer oder kognitiver Einschränkungen zu einer hohen Lebensqualität.

Barrierefreies Bauen heißt an die Zukunft denken. Durch überlegtes, vorausschauendes Planen und (Um-)Bauen lassen sich künstliche Barrieren minimieren und somit die Lebensräume für alle Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen so angenehm wie möglich gestalten. Und das um einiges kostengünstiger, als Ihnen im Worst Case ein sofort nötiger Umbau kommen würde. Barrierefreies Wohnen hat zudem nichts (mehr) mit steriler Funktionsarchitektur und Hilfsmittel im Krankenhaus-Stil zu tun! Es bedeutet einfach: so viel Bewegungsfreiheit in den eigenen vier Wänden sicherzustellen, wie es nur möglich ist - individuelle Bedürfnisse und der persönliche Geschmack sind dabei nicht außen vor!

Was kostet barrierefreies Bauen?

Klären wir eine der wohl wichtigsten Fragen gleich zu Beginn. Wie viel tatsächlich für barrierefreies Bauen ausgegeben muss, hängt natürlich völlig davon ab, welche Bedürfnisse befriedigt werden sollen. Dank vorausschauender und überlegter Planung kann man aber verhindern, dass irgendwann horrende Summen auf einen warten. Am teuersten wird's in folgenden Bereichen, wenn nicht schon von Beginn an barrierefrei gebaut wurde:

  • Kein schwellenloser Zugang
  • Zu wenig Platz im Bad und WC
  • Fehlende oder nicht tragfähige Unterkonstruktion beim WC und Bad bzw. Dusche (Haltegriffe können nicht angebracht werden)
  • Zu schmale Gänge und Vorräume
  • Zu schmale und schwere Türen (nachträglicher Einbau automatisierten Öffnungshilfen nötig)
  • Zu schmale/steile Stiegen (Einbau von Treppenlift nicht möglich)
  • Keine Leerverrohrung für Hausautomation (in Folge aufwändige Stemm- und Verputzarbeiten nötig)

Unkomplizierter Außenbereich

Üblicherweise ist ein Abstellplatz im Carport oder in der Garage etwa 2,5 Meter breit. Wenn möglich sollte dieser auf 3,5 Meter ausgeweitet werden. Das erleichtert das Ein- und Aussteigen und das Be- und Entladen des Wagens. Auch das Baby aus dem Kindersitz in den Kinderwagen umzubetten ist so wesentlich einfacher. Der Zugang zum Haus sollte gut ausgeleuchtet, möglichst eben sein und kein Quergefälle aufweisen.Ab etwa vier Prozent Steigung sind Handlauf und Absturzsicherung zu empfehlen.Im Eingangsbereich sollten zudem statt Stiegen Rampen geplant werden. Die Steigung darf maximal 6 Prozent betragen (z. B.: bei zwei Stufen mit insgesamt 36 cm Hohe entspricht dies einer Rampenlänge von mindestens 6 m). Die Rampenbreite muss mindestens 120 cm betragen.

Der Belag sollte möglichst rutschfest und ohne große Fugen verlegt sein, sodass Sie mit dem Kinderwagen oder einer Gehhilfe nicht einsinken oder in den Fugen hängen bleiben. Rollstuhlfahrer würden einen beidseitigen Handlauf bevorzugen. Handläufe bei Stiegen und Rampen sollten immer 100 cm hoch und beidseitig montiert sein und an den Enden wenigstens noch 40 cm weitergeführt werden. Ergonomisch gut zu umfassen sind sie mit einem Durchmesser von 3,5 bis fünf cm und mindestens fünf cm von der Wand entfernt. Das Treppenpodest vor dem Eingang sollte überdacht und windgeschützt sein sowie wenigstens 1,5 x 1,5 m betragen, um beispielsweise mit einem Kinderwagen oder einem Rollstuhl reversieren zu können. Für Rollstuhlfahrer muss in diesem Fall auch ein Hebelift gebaut werden.

Türen und Fenster breit genug?

Die optimale Türbreite beträgt laut ÖNORM 90 cm für den Eingang und mind. 80 cm innerhalb des Hauses. Gemeint ist immer die innere Lichte. Türen, die noch breiter sind, werden sehr schwer und lassen sich dann von Kindern oder schwächeren Menschen kaum mehr problemlos öffnen.

Alle Türen sollten grundsätzlich schwellenlos ausgeführt werden, was auch für Terrassentüren inzwischen technisch möglich ist. Ist eine Türschwelle nicht zu verhindern, darf sie höchstens zwei Zentimeter hoch sein, so können sie noch relativ leicht überrollt werden. Schräge Übergangsprofile erleichtern dies. Sind Türen extrem schwer (über 25 N), z. B. große Vollholz-Eingangstüren oder Feuerschutztüren, so sollten sie möglichst mit einem automatisierten Öffnungsmechanismus ausgestattet werden. Glastüren sollten eine kontrastierende Rahmenkonstruktion aufweisen und in der Höhe von etwa 90 bis 100 cm farblich markiert sein.

Fenster mit einer Parapethöhe von 60 cm sind optimal und ermöglichen einen freien Ausblick auch im Sitzen oder Liegen. Eine Absturzsicherung in der Höhe von 100 cm ist dann aber unbedingt notwendig. In diesem Fall ist auch auf die Höhe der Bedienelemente, Fenster- und Jalousiengriffe zu achten.

Das muss eine barrierefreie Küche können

Besonderes Augenmerk liegt beim barrierefreien Bauen und Wohnen auf der Küche. Als natürlicher Lebensmittelpunkt ist sie oft der Raum, in dem viel Zeit beim Kochen, Essen, Reden oder Spielen verbracht wird. Moderne Küchen sind geräumig und komfortabel und oft mit vielen Features ausgestattet, die unterschiedlich großen Benutzern, aber auch mobil eingeschränkten Menschen das Arbeiten erleichtern. Hier unsereTop-Tipps für barrierefreie Küchen:

  • Arbeitsflächen/Tische/Schränke sollten höhenverstellbar und unterfahrbar sein: Mit Hub-/Liftsytemen lassen sich die Oberschränke elektromotorisch herunter und nach vorne fahren. Eine kostengünstige Lösung sind manuell verstellbare Systeme - hier lassen sich die Oberschränke in unterschiedlichen Höhen einhängen. Als Unterschränke dienen beispielsweise Rollcontainer, so können die Unterschränke unter die Arbeitsplatte geschoben bzw. von dort entfernt werden.
  • Richtwert für die Höhe von Arbeitsplatte, Spüle und Herdplatte ist eine Arbeitshöhe von 82 cm und eine Beinfreiheit in 67 cm (Kniehöhe). Im Rollstuhl sitzende Personen sollten in die auf den Herdplatten stehenden Töpfe sehen können.
  • Küchengeräte sollten sich in Bedienhöhe befinden. Ein niedrig verstellbarer Stuhl kann gegebenfalls eine Alternative sein. In einer blindengerechten Küche sollten Elektrogeräte mit einfach zu ertastenden Bedienelementen und akustischen Signalen ausgestattet sein (Touch-Elemente auf glatten Ceran- oder Induktionsfeldern eignen sich nicht!). Elektrogeräte mit Abschaltautomatiken können sehbehinderten oder geistig beeinträchtigen Menschen im Zweifelsfall das Leben retten!
  • Eine Übereckanordnung von Arbeitsplatte, Herd und Spüle verkürzt die Wege und erleichtert die Küchenarbeit.
  • Die Spüle muss über einen ausreichend langen Brauseschlauch verfügen, denn dadurch kann z. B. auch im Sitzen  abgewaschen werden. Außerdem sollte das Spülbecken flach sein, damit Personen, welche im Rollstuhl sitzen, nicht in tiefe Becken greifen müssen.
  • Schiebe- oder Falttüren oder Vollauszüge für Unterschränke sind platzsparend, rollstuhlgerecht und – speziell für Kinder und ältere Menschen – in der Handhabung sicherer als Drehflügeltüren.
  • Bewegungsflächen vor Kücheneinrichtungen sollten mindestens 120 cm x 120 cm (Rollstuhl 150 cm x 150 cm) betragen.
  • Handläufe für die Arbeitsfläche, den Herd und Spüle ermöglichen selbstständige Küchenarbeit und können dabei helfen, Stürze zu vermeiden.

Barrierefreiheit geht bis ins Detail...

Macht man sich Gedanken über barriefreies Bauen, denkt man sofort an ein barrierefreies Bad oder daran, Stufen im Eingangsbereich für Rollstuhlfahrer überwindbar zu machen. Allerdings vergisst man vielleicht oft die kleinen Dinge, die Wohnräume erst konsequent barrierefrei werden lassen. Hier einige Beispiele:

  • Für Kinder sollten Garderobehaken in erreichbarer Höhe montiert werden, um gefährliche Kletterpartien zu vermeiden und auch Personen mit Gehhilfen oder im Rollstuhl zu ermöglichen, ihre Jacke selbst aufzuhängen.
  • Sämtliche Schalter, Steckdosen, Türdrücker und andere Bedienelemente sollten in einer Höhe montiert sein, die für alle BewohnerInnen einfach zu erreichen ist. Lichtschalter und andere Bedienelemente werden optimal in einer Höhe von 85 bis 110 cm, Fensteröffner und Sicherungskasten sowie Absperrhähne für Gas und Wasser in 120 cm Bodenabstand, Steckdosen mindestens 40 cm hoch und 50 cm aus der Raumecke.
  • Achten Sie auf rutschhemmende Bodenbeläge, keine losen Teppiche, eventuell kleinteilige Fliesen beim Duschplatz – der erhöhte Fugenanteil wirkt rutschhemmend
  • Kontrastreiche Farbgestaltung (Boden/Wand-Kontrast) und gute Ausleuchtung erleichtern sehschwachen Personen den Alltag.

 

Die fünf Grundregeln fürs barrierefreie Bauen

Zu guter Letzt haben wir hier noch einmal die fünf wichtigsten Grundregeln fürs barrierfreie Bauen für Sie zusammengstellt. Werden sie beachtet, wird selbstständiges und uneingeschränktes Wohnen ermöglicht:

  1. Haus und Wohnung sollen eben sein – jede noch so kleine Schwelle kann zum Hindernis werden.
  2. Die wichtigsten Räume sollten möglich im Erdgeschoss geplant werden (Wohnschlafraum, WC, Badbereich/Dusche sowie Küche).
  3. Auf die richtige Höhe achten, damit man in jedem Alter, aber auch aus jeder Lage (Bett, Rollstuhl) Lichtschalter, Griffe etc. erreichen kann.
  4. Türen und Durchgänge in der richtigen Breite einplanen, damit man bequem durch jede Türe kommt, egal ob im Rollstuhl, mit Sack und Pack oder zu zweit, wenn man die Hilfe eines anderen Menschen braucht.
  5. Den 150-cm-Kreis (vor Türen, in Vorräumen, am Balkon, im Eingangsbereich) einhalten. Er garantiert ausreichend Bewegungsfreiheit in jeder Wohnsituation.

AutorIn:
Datum: 17.12.2019
Kompetenz: Bauplanung und Bauaufsicht

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