© Mario Ewald

Kulinarischer City-Kosmos

Gegessen werden muss immer. Auch wenn die eigene Küche kalt bleibt. Doch während sich Landbewohner mit dem klassischen Wirtshaus zufriedengeben, sind die Städter wählerischer. Wohl auch weil zwischen Büromeetings und Feierabendstress die Zeit deutlich knapper geworden ist.

Das Geschäft mit dem Essen boomt – das verrät nicht nur ein Blick in die Kochbuchecke beim Buchhändler Ihres Vertrauens oder einer auf Aberhunderte Foodblogs. Auch wer beim Flanieren durch die Stadt seine Augen offen hält, nimmt die steigende Anzahl der Neueröffnungen wahr: trendige Burgerläden, hippe skandinavische Cafés oder vegane Restaurants. Wer jedoch genau hinsieht, erkennt auch andere Aspekte: Viele Geschäfte schließen, wechseln alle paar Monate den Besitzer. Franchiser schnappen sich begehrte Standorte. Und keine Einkaufsmall kommt mehr ohne Foodcorner aus. Ein voller Teller mag auf Instragram oder Facebook ein guter Post für Likes sein, in der Gastronomie aber wird er zum big business – und Geldströme beeinflussen meist auch die Struktur der Stadt.

Wo wir wie essen

Wer sich in seiner Stadt umschaut (sofern sie eine gewisse Mindestgröße aufweist), trifft auf unterschiedliche Gastrozonen. Die Innenstadt, vor allem bei einer schmucken Altstadt, ist meist von alteingesessenen Gasthäusern geprägt. Zwischendurch finden sich immer wieder Franchiseläden, nur gelegentlich lassen sich in Toplagen innovative Konzepte finden. Je höher die Fluktuation an Menschenmassen, beziehungsweise je größer die Umsatzerwartungen an den Standort, desto eher trifft man auf internationale Ketten. Dies gilt in erster Linie für Bahnhöfe, Citypassagen oder Einkaufsmalls. Die gehobene Gastronomie bevorzugt meist ruhigere Plätze. Schani­gärten sind dabei nahezu unerlässlich. Aber auch hier gibt es Straßenzüge, wo sich eine Vielzahl an Betrieben zusammenzieht. Ebenso bei der letzten Gattung von Gastronomiekultur in der Stadt: den Take-away-Meilen. Die Thaliastraße im Wiener Bezirk Ottakring gehört beispielsweise dazu. Hier reihen sich Dönerbuden und Pizzaläden wie auf einer Perlenschnur aufgefädelt aneinander. Es liegt in der Natur dieses Systems, dass die entsprechenden Geschäftslokale vorrangig dort zu finden sind, wo auch ein hoher Personenverkehr vorhanden ist. Hauptverkehrsadern oder Knotenpunkte der öffentlichen Verkehrsmittel gehören unbedingt dazu.

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Lukullisches Lockmittel

Gastronomie zieht Menschen an! Gäbe es in Einkaufszentren keine Restaurants oder Schnellimbissbuden, würde wohl auch der Umsatz von dort ansässigen Kleiderboutiquen absinken. Eine Handvoll attraktiver Ziele genügt, um den Hungrigen da draußen genügend Auswahl zu geben – und einen Grund, immer wieder vorbeizuschauen. Wenn sie sich im Anschluss ihres Snacks noch ein neues T-Shirt leisten, ist das Konzept der Mall aufgegangen.

Die Wiener Bezirke Neubau oder Jo­sef­stadt gehören zu den begehrtesten Wohnvierteln der Stadt. Wer sich jung und hip fühlt, sucht sich hier gerne seine Bleibe. Dies liegt allerdings nicht nur an der zentralen Lage. Die hohe Dichte von innovativen Ladenkonzepten (nicht nur Gastronomie, aber auch) wirkt ebenfalls geradezu magnetisch. Im Umkehrschluss könnte dies heißen: je beliebter die Cafés und Restaurants, desto höher die Mietpreise im Wohnviertel, Stichwort „Gentrifizierung“.

Gelieferte Gemütlichkeit

Stadt bedeutet aber nicht nur Fortgehen und schöne Szenelokale, sondern auch immer Tempo! Hier in den Ballungszentren gibt es in den heutigen Industrienationen viele hochbezahlte Jobs. Wer aber arbeitet, hat keine Zeit, sich stundenlang ins Restaurant zu setzen – oder in die Küche zu stellen. Gut, dass sich mittlerweile Lieferservices zum eigenständigen Business entwickelt haben. Ob Foodora, Uber Eats, Mjam oder Deliveroo: Die Bringdienste überschwemmen den Markt und buhlen um hungrige und „ausgehmüde“ Kundschaft. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Pizza und Asianudeln, auch gehobene Restaurantküche oder Biogerichte stehen je nach Anbieter zur Auswahl.

Schätzungen zufolge liegt das Auftragsvolumen bei Essensauslieferungen in Österreich bei etwa 750 Millionen Euro jährlich. Allerdings wird ein Großteil davon immer noch klassisch über Telefon abgewickelt. Die moderne Bestellung läuft jedoch über eine App – mit dem Vorteil, dass der Kunde zwischen einer Vielzahl an Restaurants wählen kann. Dabei muss der Onlineanbieter nicht zwangsläufig auch der Auslieferer sein. Doch ganz gleich, wer die Bestellung zum Kunden fährt, diese Essensboten sind es, die das Bild einer modernen und schnellen Stadt prägen – auf ihren Fahrrädern oder E-Bikes, in voller Firmenmontur und mit kantigen Styroporboxen. Sie flitzen durch die Straßen, um die gewünschte Lieferung innerhalb von höchstens 30 Minuten zu ihrem Zielort zu bringen. Die Kuriere sind meist fahrradaffine Studierende. Viel Geld lässt sich mit diesen Jobs nicht verdienen, zudem ist noch der Druck auf die Boten ungleich hoch. Schwierig für die Fahrer ist das richtige Tempo. Sind sie zu langsam, bekommen schnellere Fahrer die nächsten Jobs. Treten sie jedoch zu sehr in die Pedale, wählt der interne Firmenalgorithmus diese Fahrer für besonders lange Fahrten aus – und je länger die Fahrten, desto weniger davon können die Boten pro Schicht absolvieren. Und der Job wird pro zugestellter Lieferung bezahlt.

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Unterwegs und nebenbei

Freilich geht es immer noch eine Stufe simpler: mit Fertiggerichten. Damit sind jetzt nicht primär industrielle Tiefkühlwaren aus dem Supermarkt gemeint. Im Trend sind die frisch zubereiteten Speisen aus der Kühltheke von Billa, Spar & Co. Belegte Semmeln, Linsensalate, Curryreis und sogar vorgeschnittene Ananas, nach denen der Kunde nur mehr zu greifen braucht. „Convenience Food“ heißt der Zauberbegriff – „bequemes Essen“ auf gut Deutsch. In den großen Weltmetropolen ist der Trend zum vorgefertigten Essen noch weiter fortgeschritten. Ganz gleich ob Supermärkte, Feinkostläden oder spezielle Delis, es werden unzählige Gerichte zum Verkauf angeboten, die der Konsument daheim oder im Büro nur noch aufzuwärmen braucht.

Ambivalentes Verhältnis

Mahlzeiten, von jemand anderem gekocht oder vorbereitet, werden immer allgegenwärtiger, verfügbarer, aber auch austauschbarer. Doch je weniger Zeit wir mit der Zubereitung und letztlich auch dem Verzehr unserer Nahrung verbringen, desto unbedeutender wird sie für uns. Als Gegengewicht stilisieren wir die Samen des mexikanischen Salbeis zu hypergesundem Superfood hoch oder bilden uns nach einer kleinen Blähung eine ausgewachsene Lebensmittel­unverträglichkeit ein. Andererseits, und hier ist der Gegenpol tatsächlich sehr sinnvoll gewählt, fangen immer mehr Großstädter an, ihre Paradeiser auf dem Balkon selbst zu ziehen. Das ist zwar noch weit entfernt von Selbstversorgung, aber der Umgang mit der Pflanze, also die Basis unserer Nahrungsversorgung, erdet im wahrsten Sinne des Wortes unser Verhältnis zum Essen. Daher ist es auch kein Zufall, dass Gegenbewegungen wie etwa Urban Gardening gerade dann entstehen, wenn vorgefertigte Gerichte aus der Kühltheke oder durch die Straßen flitzende Fahrradboten zum Renner werden.

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Datum: 13.06.2017

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