© Warren and Mahoney/Studio Pacific Architecture, Patrick Reynolds

„Kathedralen der Gegenwart“

Kaum jemanden lassen Flughäfen kalt. Jeder Flughafen hat eine bestimmte Aufenthaltsqualität und „Lesbarkeit”. Manche sind zweifelsohne architektonische Meisterwerke.

Wir, die Familie, also mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und ich, verbrachten eine Zeit lang fast jedes Wochenende am Flughafen. Für uns Kinder war es nicht gar so prickelnd, wir waren weitgehend uns selbst überlassen – die Erwachsenen unterhielten sich über dies und das, tranken Ginger Ale, ein Root Beer oder Gin Tonic, fachsimpelten (die Männer) über Flughöhen, Kolbenmotoren, Luftschraubenantrieb; gingen die Vorzüge der gängigen Cessna-Modelle durch, besprachen diverse mechanische Sicherheitsfeatures. Lediglich wenn nach einer längeren Pause wieder einmal eine der Piper-, Learjet- oder Cessna-Propellermaschinen, im langsamen Sinkflug befindend, sich allmählich unserem Beobachtungsposten näherte, das sirrende Geräusch in der Luft, um dann auf der aus einer Graspiste bestehenden Landebahn, im Idealfall mit Schotter befestigt, mehr oder weniger hart aufzusetzen, standen mein Bruder und ich, Mund offen, staunend, dass dieses Etwas aus Metall, in seinem Bauch Menschen beherbergend, vogelgleich über die Savanne gleitend, die Gesetze der Schwerkraft zu überwinden schien. Ja, mein Vater hatte ein starkes Faible für Flughäfen. Er träumte davon, selbst eine Privatpilotenlizenz zu erhalten (er hat die Prüfung nie absolviert). Hier, im afrikanischen Angola, haftete den kleinen Flughäfen, mehr noch als jenen der großen europäischen Metropolen, das Flair der weiten Welt an, das Flair großer Fünfsternehotels mit zentimeterdicken Teppichen im Entree, in denen die Füße versinken, mit schweren Ohrensesseln in der Lounge und geschäftigen livrierten Bellboys. Nur dass wir hier im Freien unbeschattet in der flirrenden Hitze auf Stühlen aus bereits wieder abgeschlagenem, weiß lackierten Stahlrohr und mit Plastikschnüren bespannter Sitzfläche saßen und im kleinen Abfertigungsbungalow unter den Füßen maximal Verbund­estrich die Schritte abfederte.

© Rubner Holding

Holztechnologie aus Österreich. Rubner Holzbau baut den zweitgrößten Flughafen der Philippinen, den Mactan Cebu International Airport. © Rubner Holding

Aufenthaltsqualität und Lesbarkeit

Wie auch immer. Was blieb, ist die Reiselust und die Faszination, die von so manchem Flughafen ausgeht. „Flughäfen sind Zentralisationspunkte der Globalisierung, Kathedralen der Gegenwart. In ihnen trifft sich die Welt, und in ihnen sehen und verstehen wir die Welt. Daher faszinieren sie mich“, sagt Alexander Gutzmer, Chefredakteur des deutschen Architekturmagazins „Baumeister“ und Editorial Director im Callwey Verlag, der einen fantastischen Bildband über Flughäfen herausgebracht hat. „Mich interessiert es, wie man es schafft, bei einem funktional so stark determinierten Gebäudekomplex wie einem Flughafen dennoch Aufenthaltsqualität und ,Lesbarkeit‘ herzustellen. Das Fliegen selbst empfinde ich, anders als ständig klagende Vielflieger, zumindest nicht als große Last.“

Die Stararchitektin Zaha Hadid hat den bis dato größten Airportterminal der Welt entworfen – das seesternartige Flughafengebäude in Peking-Daxing. © Methanoia Zaha Hadid Architects

Wohl und Weh am Airport

Eben, nicht von allen geht Faszination aus, manche sind furchtbar: Nicht enden wollende Verbindungsschläuche von Terminal zu Terminal, die starke Zweifel aufkeimen lassen, ob man das Boarding zum Anschlussflug wirklich noch erleben wird. Komplizierte Leitsysteme, mit in die Irre führenden Pfeilen, wenn man ein bestimmtes Gate oder nur das WC sucht. Mit aberwitzigen Absperrungen versehene, vielfach mäandernde Bahnen vor dem Security Check, dicht gedrängt mit Menschen, die scheibchenweise vorrücken, hastig die Reste Mineralwassers austrinkend, sonst müssten sie das noch halb volle Gebinde abgeben, und auch hier wieder Panik aufkommen lassen, ob man überhaupt hört, wenn man ausgerufen wird, weil es sich unmöglich bis zur Abflugzeit noch ausgehen kann, dass alle Menschen vor einem das X-Ray passieren. Kulinarikverbrechen in Gastronomiebetrieben mit der Anmutung einer Bahnhofshalle der übleren Sorte (die Autorin dieser Zeilen will nicht allen Bahnhofswartesälen unrecht tun) und völlig überteuerten Getränken. Aber was bleibt einem anderes übrig, wenn man von Stadt A nach Stadt B muss oder möchte und eine mehrtätige Bahnfahrt oder Schiffspassage nicht infrage kommt? „Gar nicht gefällt mir etwa Brüssel – ewig lange Wege, viel ­Düsternis, viele Treppen“, stimmt Gutzmer ein und nennt sein individuelles Schlusslicht.
Oder aber ganz anders (eine rein persönliche Auflistung): architektonische Meisterwerke, eine Offenbarung fürs Auge, sich sanft in Bewegung setzende Menschenförderbänder, klug durchdachte, kurze Wege, heimelige Lounges, reichlich WLAN-Hotspots bis hin zu Liegeflächen für Power Napping und Retailkonzepten, die einen dann doch das Sisley-Maxikleid erwerben lassen oder zumindest den Welt-Reisesteckeradapter, Dyson Händetrockner im Nassraum, deren Luftgebläse heiß genug sind, um durchfrorene Hände wieder schön warm zu bekommen – kurz, eine angenehme Mischung aus Bedürfniserweckung und Bedürfnisbefriedigung. Eine Mikrostadt in der Stadt oder nahe bei der Stadt.

Hier weiß man gleich, wo man gelandet ist: Es kann sich nur um Las Vegas handeln. © Ronda Churchill/McCarran International Airport

Aufsteiger und Bruchlandungen

Fachmann Gutzmer erklärt, was einen Flughafen in seinen Augen gesamthaft zu einem angenehmen Aufenthaltsort macht: „Hier ist wirklich der Begriff der Lesbarkeit für mich entscheidend. Die Architektur eines Flughafens muss mir erklären, wo ich mich befinde – und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen muss sie es mir ermöglichen, mich im Flughafenkomplex selbst zu verorten. Zum anderen muss aber auch der Flughafen etwas mit der Stadt, in der er sich befindet, zu tun haben. Vom Flughafen als ortsunabhängige architektonische Großform halte ich nichts.“ Auf seiner persönlichen Hitliste ganz oben ist London Stansted, „Norman Foster hat hier erstmals mit einer Dachkonstruktion gearbeitet, die sichtbar das ganze Gebäude überspannt“. Und er liebt LAX (Los Angeles International Airport), „vor allem für das ,Theme Building‘. Der futuristische Bau repräsentiert für mich die ganze Faszination, die auch von Los Angeles als Stadt ausgeht.“ München wiederum sei ein guter, weil klarer, lichter und Lesbarkeit vermittelnder Bau. „Und Tegel als Ikone der 1960er-Jahre – die man übrigens meiner Ansicht nach offen halten sollte“, so Gutzmers Plädoyer. Der immer noch in Bau befindliche, an der südlichen Stadtgrenze Berlins im brandenburgischen Schönefeld gelegene Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ soll die Flughäfen Schönefeld und Tegel ersetzen. Der Spatenstich zur größten Flughafenbaustelle Europas und einem der größten in Bau befindlichen Verkehrsinfrastrukturprojekte Deutschlands erfolgte schon 2006 und der Flugbetrieb hätte 2011 starten sollen. Allein, Baufehler und Fehlplanung machten einen Strich durch die Rechnung, als neuer Eröffnungstermin gilt das Jahr 2018.

Interview Christian Mikunda: Flughäfen sind Orte von "Glory" und "Joy"

AutorIn:
Datum: 21.06.2017

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