© Zaha Hadid Architecture, Aecom

Architektur. Weiblich.

Die Architektur kann als eine Männerdomäne bezeichnet werden. Das beweist nicht nur der erschreckend niedrige Anteil an Architektinnen in Österreich im Vergleich zu den Uni- und FH-Abschlüssen: Wofür die Frauen dieses Berufsstandes heute kämpfen, wer ihre Wegbereiterinnen waren und was die Geschichte und Gesellschaft zur Weiblichkeit in der Architektur beitragen.

Setzen Sie jeweils ein paar Buben und ein paar Mädchen vor eine Kiste voller Bausteine und lassen Sie die Kinder bauen. Was passiert? In seinem Buch „Childhood and Society“ beschreibt der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Erik Erikson ein Experiment an 150 Kindern, in dem er klare geschlechtsspezifische Unterschiede in den Entwürfen der Kleinen beobachtet: Die Jungen bauten zu über 90 Prozent Türme – ihr größter Spaß war es übrigens, diese wieder zu zerstören, das aber nur nebenbei –, die Mädchen bauten zu über 90 Prozent Höhlen und spielten Familie darin. Was lernt der Psychologe daraus? Buben konstruieren in ihren Türmen die Dimension „hoch-tief“, während Mädchen durch ihre Innen-Außen-Anordnungen tendenziell die Modalität „offen-geschlossen“ einüben. Erikson erkennt in diesem Muster eine Parallelität von Handlung und Genitalien. Legen wir diese Erkenntnisse auf die Architektur um, ergeben sich folgende Fragen.

Ist die Art zu entwerfen, der Zugang zu Architektur also, wirklich in unseren Genen, in unserem Geschlecht festgelegt? Oder sind das in Wirklichkeit nichts als Klischees, die auf der Rolle von Mann und Frau in unserer Gesellschaft gründen? Gibt es DIE weibliche Architektur? Wagen wir dafür einen Blick in die Vergangenheit.

Architektinnen gestern und heute

Wenn wir in der Geschichte zurückblicken, so waren die Anfänge der weiblichen Vertreter der Architektenzunft wie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft ganz klar geprägt von der Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Doch auch wenn es nicht einfach für die Einzelne war, konnten Frauen sich schon relativ früh in der Geschichte als Planerinnen behaupten. Laut Historikern sind von der Frühgeschichte bis ins Mittelalter zahlreiche Beweise dafür zu finden, dass das Errichten eines Zuhauses, eines Daches über dem Kopf, Frauensache war. Doch diese Schaffenszeugnisse weiblicher Architektur im Mittelalter, in der Renaissance oder im Barock sind leider nur rar dokumentiert. Mit dem Siegeszug der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kam es zu einer „Verstahlung“ unserer Gesellschaft, die auch eine strikte Verdrängung des Weiblichen, der Frau aus dem Bausektor mit sich brachte.

Was ist hier nun typisch weiblich und typisch männlich? Die Bergiselschanze in Innsbruck wurde entworfen von Zaha Hadid - einer Frau ... © meunierd/Shutterstock

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die Frau in der Architektur einen ersten Aufschwung. Die Universitäten öffneten ab 1900 ihre Fakultäten auch für das weibliche Geschlecht, und obwohl der Zugang noch immer mit einigen Schwierigkeiten behaftet war, gab es ab den 1920er-Jahren immer mehr Frauen, die ein Architekturstudium absolvierten und auch in diesem Beruf tätig wurden. Eine erste, nicht nur leise und zurückhaltende Emanzipation des Berufsbildes nahm Fahrt auf. Einen etwas schalen Beigeschmack hat die Tatsache, dass sich die ersten Architektinnen vor allem in Bereichen verwirklichten, die ihnen „vertraut“ waren. Und so wurden besonders der (soziale) Wohn- und Siedlungsbau sowie die Inneneinrichtung Spielfeld für Planerinnen und Architektinnen. Es ging der „ersten Generation“ zumeist darum, das Leben zu erleichtern und zu vereinfachen, aber auch den sozialen, den gemeinschaftlichen Aspekt im Zusammenwohnen hervorzuheben.

In den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten – mit Ausnahme des Naziregimes und seinen Repressionen, die die weibliche Architektenschaft mit ihren vielen jüdischen Vertreterinnen zur Emigration oder dem Rückzug aus dem Beruf zwangen – wurden die Frauen im Architektenberuf immer präsenter. Heute verzeichnen die Universitäten und Fachhochschulen einen durch die Bank höheren weiblichen Anteil an Studienanfängern und Absolventen, im Schnitt liegt er bei über 50 bis 60 Prozent. Woran es dann aber wiederum krankt, ist der Übergang vom Studium ins Berufsleben. Nur wenige der Architekturabsolventinnen fassen auch wirklich Fuß in ihrem Brotjob, noch weniger machen dies auf selbstständiger Basis und/oder in leitender Funktion. Die aktuellen, bei der Österreichischen Architektenkammer abgefragten Daten beweisen dies eindrücklich. So sind mit Stichtag 9. März 2017 in Österreich insgesamt 3115 natürliche Personen mit aufrechter Befugnis als Architekten tätig. Davon sind 2628 (59,7 Prozent) männlich und 487 weiblich (11,1 Prozent). Der Rest (1019 Männer und 270 Frauen) sind Architekten mit ruhender Befugnis. Bei den Ziviltechnikern ist der Unterschied noch eklatanter: Hier stehen 63,7 Prozent männliche Zivilingenieure mit aufrechter Befugnis lediglich 1,9 Prozent weiblichen Zivilingenieuren gegenüber.

... und das Guggenheim Museum in Bilbao von Frank O. Gehry - einem Mann. © nito/Shutterstock

Die Frau in Form und Gestalt

Die weibliche Architektur, das Weibliche in der Formensprache – ihre Existenz ist nicht abzustreiten. Doch wird dieses Weibliche nicht ausschließlich von Frauen geschaffen. Wir alle tragen eine männliche und eine weibliche Seite in uns, das ist bei den Architektinnen und Architekten nicht anders. Welche Seite stärker in den Entwürfen hervorkommt, ist individuell und wohl auch charakter- und situationsabhängig. Nur ein Beispiel: Das Solomon R. Guggenheim Museum in Bilbao könnte laut zahlreichen Architekturbeschreibungen (z. B. Helmuth Seidl in der Zeitschrift Raum und Mensch, Ausgabe Dezember 2009) wohl als der Inbegriff von Weiblichkeit „ausgelobt“ werden. Alles ist rund, sanft geschwungen und in sich verschlungen, Kanten und Ecken sucht man vergeblich. Der Eingangsbereich mutet laut Seidl wie der Schoß einer Frau an, in den man versinkt. Und im Inneren wandern die Besucher von Höhle zu Höhle, stets beschützt und geborgen. Entworfen wurde das zu den berühmtesten Museen der Welt zählende Gebäude aber von einem Mann, dem kanadisch-amerikanischen Pritzker-Preisträger Frank Owen Gehry.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in dieser Diskussion ist jener der Rezeption. Ob ein Gebäude als weiblich oder männlich empfunden wird, hängt nämlich auch sehr stark vom Betrachter ab und welche Gefühle und Assoziationen das Betrachtete in ihm auslöst. Die Bergiselschanze von Zaha Hadid in Innsbruck etwa könnte von manchen als typisch männliche Architektursprache gelesen werden (90 Meter langer Zugang, ein über 60 Meter, kerzengerade in die Luft ragender Turm; mit den vorrangig eingesetzten Materialien Beton und Stahlblech). Zeitgleich bewerten andere das Café und die Terrasse, die in einer eleganten Drehung den Turm umschlingen, als besonders oder gar typisch weiblich, liebkosend, schützend.

Anna Heringer, deutsche Architektin, „Studio Anna Heringer“, Inhaberin der UNESCO-Professur für Earthen Architecture, Building Cultures and Sustainable Development. Lieblingsarchitekten: Hollmen Reuter und Sandman, drei finnische Architektinnen und gute Freundinnen, Marina Tabassum (Bangladesh), Anupama Kundoo (Spanien/Indien).

© Martin Mackowitz

AiM: Sind Frauen in der Architekturlandschaft unterrepräsentiert? Warum gibt es so wenige Stararchitektinnen?

Anna Heringer: Ja absolut! Vor allem in den oberen Schichten. Man hat es sehr schwer als Frau in dieser Branche, die äußerst „competitive“ ist. Ich sehe das Kernthema in der Selbstdarstellung, der Kampf- und Risikobereitschaft, alles Eigenschaften, die ich nicht der Frau an sich zuschreibe. Im Kampf um Aufträge werden meiner Meinung nach oft Ellbogen eingesetzt, und da bemerke ich einfach, dass die Frauen – einerseits aus Rücksicht auf die Familie, andererseits aber auch aus Rücksicht auf die andere Seite – vor diesem Kampf eher zurückschrecken. Auch mir macht diese Härte zu schaffen. Vielleicht gibt es deshalb so wenige Stararchitektinnen? Bestimmend in der Architektur ist die Wettbewerbskultur. Und ohne gewonnene Wettbewerbe baut man sich schwer eine internationale Reputation auf. Immer noch mehr Ego, noch mehr Geltung, nach der geschrien wird.

Haben Frauen eine andere Herangehensweise an die Architektur? Planen und gestalten sie anders als Männer? Oder ist das vielmehr ein klischeehaftes Denken, das von der Charakterisierung des Weiblichen an sich herrührt?

Ich bin prozessorientiert und intuitiv. Ich bin emotional mit dem Projekt verbunden. Als Frau habe ich oft eine andere Sprache und eine andere Herangehensweise, Priorität haben in meinem Schaffen die soft facts, der Charakter des Gebäudes, das Gefühl, das damit einhergehen soll, und der Prozess des Planens und Bauens. Das bringt im Gespräch mit Bauherren oft Probleme, da sich Standardbauherren vor allem von hard facts und Analytik überzeugen lassen – meiner Meinung nach eher männliche Eigenschaften.

Haben es Frauen schwerer, in diesem Beruf Karriere zu machen und leitende Positionen einzunehmen, als Männer? Gibt es eine Ungleichbehandlung und existiert vielleicht sogar die „gläserne Decke“?

Der Architekturberuf ist familienfeindlich, das ist Fakt. Als Mutter, aber auch als Vater muss man da ganz eigene Wege finden, um ein eigenes Büro erfolgreich zu betreiben. Mein Weg: Ich mache fast keine Wettbewerbe, weil ich weiß, das geht sich nicht aus – aufgrund durchgearbeiteter Nächte und Wochenenden, die für die Familie keine Zeit übrig lassen. Ich bleibe deshalb bewusst klein, für größere Projekte arbeite ich mit anderen Büros zusammen und teile die Ressourcen. Das Problem: An große Aufträge kommst du schwer ran, weil du als kleines Büro fast chancenlos bist. Wenn ich keine Familie hätte, hätte ich mit Sicherheit ein größeres Büro. Und zu Ihrer zweiten Frage: Die gläserne Decke gibt es hundertprozentig! Die Größe des Oeuvres zählt oft mehr als Qualität, Tiefgang und Reflexion. Die alten Männer haben das Gewicht in der Jury, die typischen Patriarchen mit einem veralteten Frauenbild. Das gilt natürlich nicht für alle, aber ich habe es oft erlebt, sie genießen, von Frauen umgeben zu sein – aber ernst genommen werden wir offensichtlich nicht wirklich. So lange diese alte Liga noch da ist, wird sich wohl schwer etwas ändern.

Gibt es DIE weibliche Architektur und DIE männliche Architektur?

Männer können weibliche Architektur machen, wie Frauen auch männliche Architektur machen können. Aber es ist sicher so,und damit hängt auch das Ergebnis zusammen, dass wir Frauen mehr auf die Emotionen schauen, diese uns näherliegen. Ich arbeite gerne mit Männern zusammen, weil ich finde, dass wir uns gut ergänzen! Er kommt von der einen Seite, ich von der anderen. Was daraus entsteht, ist dann ausgewogene Architektur. Wenn man heute durch die Städte geht, egal wo, ist es wahnsinnig standardisiert und funktional. Alles schaut ähnlich aus. Da fehlt mir ganz klar die rechte Gehirnhälfte, das Weibliche, das Emotionale, das Spielerische. Die heutige Architektur ist eine auf Kontrolle basierende. Ich plädiere für weniger Kontrolle und mehr Vertrauen in die Schaffensqualität und Kreativität von einem selbst sowie der am Bauprozess Beteiligten und schließlich auch der Nutzer. Und das weibliche Bedürfnis nach Harmonie unterstützt dieses Vertrauen, davon bin ich überzeugt.

Sabine Pollak, österreichische Architektin, Universitätsprofessorin für Architektur und Urbanistik, Vizerektorin für Internationales und Genderfragen, Mitgründerin des Architekturbüros Köb&Pollak. Lieblingsarchitekten: All jene, die sich forschend vorwärtsbewegen, also Rem Koolhaas, Elizabeth Diller, MVRDV.

© privat

AiM: Sind Frauen in der Architekturlandschaft unseres Landes und international unterrepräsentiert?

Sabine Pollak: Ja, das sind sie. Man muss nur die Programme der wichtigsten Konferenzen und Symposien betrachten und merkt sofort, dass weibliche Architekten als Vortragende selten mehr als 15 Prozent erreichen. Im Gegenzug studieren seit einigen Jahren mehr Frauen als Männer Architektur, und man muss sich fragen, wo diese später bleiben. Die gläserne Decke ist im Beruf der Architektin sichtlich eine sehr stabile. International ist es teils besser, in Großbritannien etwa gibt es seit Langem eine gute Tradition von Frauenkollektiven. Im Bereich der Stararchitektur wird der Frauenanteil international wieder verschwindend klein, die einzige internationale Stararchitektin verstarb letztes Jahr. Stararchitektur ist kein vorrangiges Aufgabengebiet, aber dennoch ist dies im 21. Jahrhundert bedenklich.

Haben es Frauen heute (noch immer) schwerer, in diesem Beruf Karriere zu machen und leitende Positionen einzunehmen, als Männer?

Sichtlich ja, denn sonst gäbe es mehr Frauen mit erfolgreichen Architekturbüros.

Gibt es eine Ungleichbehandlung, existiert die viel zitierte „gläserne Decke“?

Eine Ungleichbehandlung lässt sich nicht an konkreten Fällen ausmachen, sondern an der Tatsache, dass Baugenossenschaften und andere Auftraggeber mehrfach auf jene Architekturbüros zurückgreifen, die sie seit jeher beauftragen. Und diese sind naturgemäß eher männlich besetzt. Es ist auch eigenartig und eigentlich traurig, dass heute, wo partizipativ entwickelte Projekte so wichtig werden, mehr Frauen zum Zug kommen. Man traut ihnen diese Aufgabe der Vermittlung eher zu als Männern, die gewohnt sind, sich durchzusetzen. Das finde ich zumindest mehr als traurig, denn diese Annahme beruht größtenteils auf Vorurteilen und Stereotypen.

Haben Frauen Ihrer Meinung nach eine andere Herangehensweise an die Architektur? Planen und gestalten Frauen anders als Männer?

Frauen gehen nicht anders an Aufgaben heran als Männer und planen bzw. bauen keine andere Architektur. Es könnte nur sein, dass das Jahrhunderte andauernde „Nicht-zum-Zug-Kommen“ Frauen heute anders handeln lässt als Männer. Aber prinzipiell besteht kein Unterschied.

Gibt es Ihrer Meinung nach „DIE weibliche Architektur“ und „DIE männliche Architektur“?

Nein, alles, was jemals darüber geschrieben wurde, ist meiner Meinung nach Nonsens, es gibt auch nicht DIE Frau oder DEN Mann.
Wie beschreiben Sie Ihre persönliche Architektursprache? Wie sieht Ihr Weg von Planung und Gestaltung aus?
Meine persönliche Architektursprache entsteht in Zusammenarbeit mit meinem Partner Roland Köb, jedes gebaute Projekt entsteht im Team. Die Sprache ist immer getrieben vom Experiment, dem Austesten und Glauben daran, dass Architektur etwas an der Art, wie wir zusammenleben, verändern kann.

Kathrin Simmen, Schweizer Architektin, seit 2013 Leiterin von ­kathrinsimmen Architekten ETH SIA in Zürich, parallel Assistentin für Entwurf bei Prof. Andrea Deplazes an der ETH Zürich. Lieblingsarchitekten: Lux Guyer, Alvar Aalto und Louis Kahn sowie Herzog & de Meuron aufgrund ihrer Experimentierfreudigkeit – vom Kleinstobjekt bis zur Ikone.

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AiM: Sind Frauen in der Architekturlandschaft unseres Landes und international unterrepräsentiert?

Kathrin Simmen: Meiner Meinung nach gibt es eine große Diskrepanz zwischen dem Frauenanteil in der Ausbildung und der Berufspraxis. An der ETH Zürich, wo ich derzeit im Bachelorstudium unterrichte, beträgt der Frauenanteil fast 60 Prozent. Bis zum Ende der Ausbildung – und im Anschluss unter den Berufseinsteigerinnen – bleibt dies so bestehen. Allerdings scheint es, dass der Beruf der Architektin mit zunehmendem Alter und Familienalltag nicht besonders kompatibel ist. Viele Frauen möchten Teilzeit arbeiten, finden aber in einem Architekturbüro keine ihrer Erfahrung adäquate Anstellung. So haben ab ungefähr Mitte dreißig viele Kolleginnen die Seiten gewechselt und arbeiten dann zum Beispiel in Baubehörden, als Bauherrenberaterinnen oder als Fachjournalistinnen, weil dort mehr zeitliche Flexibilität und Auseinandersetzung mit interessanteren Aufgaben möglich ist als im Architekturbüro. Ich kenne die internationale Situation nicht besonders gut, würde aber schätzen, dass der Schweizer Stellenmarkt nicht zuletzt dank der florierenden Baubranche für die Frauen noch weitaus bessere Möglichkeiten bietet als anderswo.

Haben es Frauen schwerer, in diesem Beruf Karriere zu machen und leitende Positionen einzunehmen, als Männer?

Die Firmenstrukturen in unserem Beruf sind meist kleine Unternehmen von zwei bis zwanzig Mitarbeitern. Die Karrierechancen scheinen mir eher strukturell eingeschränkt. Hat man allerdings ein privates Umfeld, das einen unterstützt, kann sich der Schritt in die Selbstständigkeit meiner Meinung nach sehr lohnen. Selbstbestimmt sein zu können vereinfacht die Kombination von Beruf und Familie. Für mich bedeutet es zwar viel Organisationsgeschick, aber ich kann so meine beiden Rollen als Chefin und Mutter ausüben und versuche dabei stets die Balance zu halten.

Gibt es eine Ungleichbehandlung, existiert die „gläserne Decke“?

Dieser Eindruck ist bei mir noch nie entstanden. Ich erfahre viel Respekt und Anerkennung für meine Tätigkeit und habe den Eindruck, dass manchmal gar Vorteile aus meiner Situation entstehen.

Haben Frauen eine andere Herangehensweise an die Architektur? Planen und gestalten Frauen anders als Männer? Oder ist das vielmehr ein klischeehaftes Denken, das von der Charakterisierung des Weiblichen in der und durch die Gesellschaft an sich herrührt?

Um diese Frage zu beantworten, müsste man erst darüber nachdenken, welche Charaktere die Gesellschaft dem Weiblichen zuordnet. Weich, freundlich, hell, warmherzig? Lassen sich diese Adjektive auf einen Raum, auf Architektur übertragen? Meine These ist, dass es keinen Unterschied zwischen einer weiblichen und einer männlichen Architektur gibt. Es mag sein, dass sich die Geschlechter in den Arbeitsweisen oder Interessen an bestimmten Themen und Bautypologien unterscheiden, aber das Ziel, ja, das Endprodukt ist immer eine gebaute Realität, die gleichermaßen alle Menschen berühren, betreffen oder befriedigen soll.

Gibt es DIE weibliche Architektur und DIE männliche Architektur?

Nein, die gibt es nicht. Auch wenn darüber viel diskutiert wird und es in einzelne Werke hineininterpretiert werden könnte.

Wie beschreiben Sie Ihre persönliche Architektursprache? Wie sieht Ihr Weg von Planung und Gestaltung aus?

Eine eigene Architektursprache zu finden ist für mich kein Ziel. Mich interessiert bei jeder Aufgabenstellung die Ausgangslage: der Kontext, die Anforderungen der Bauherrschaft, die Stimmung des Orts, der Landschaftsraum, die Synthese von Raum und Konstruktion zu einem maßgeschneiderten, individuellen Projekt. Ich arbeite während des Entwurfsprozesses mit Skizzen, Referenzen, im 3D-Programm und im Modell. Mich fasziniert seit Beginn meiner Ausbildung die Übersetzung eines Projekts in fragmentarische Modelle aus Graukarton, die ich kulissenhaft konstruiere. Dabei teste ich die Licht- und Schattenverhältnisse, Farbstimmungen, überprüfe Proportionen und fotografiere die Modelle anstelle von herkömmlichen Visualisierungen. In der Fotografie – die nicht die Perfektion sucht, sondern durch Improvisation auch oft Überraschungen offenbart – finde ich einen besonderen Wert räumlicher Darstellung.

AutorIn:
Datum: 21.06.2017

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