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Marathonläufer der Architektur: Die Theorie von Jarzombek

Der Korridor eines Gebäudes hat mehr mit dem spanischen Marathonläufer, dem "corredor" gemeinsam, als man denkt. Architektur-Theoretiker Mark Jarzombek zeigt, dass Gesellschaft Architektur prägt - und umgekehrt.

Was haben ein spanischer Marathonläufer und der profane Hausgang gemeinsam? Geht es nach Mark Jarzombek, Architekturtheoretiker mit Lehrstuhl am Massachusetts Institute of Technology (MIT), sehr viel. Denn er ist sicher, dass Architektur und Gesellschaft einander maßgebend prägen und sieht im "corredor" (spanisch für Marathonläufer oder Läufer) den Ursprung von Hausgängen - anders: Korridoren.

Bauen ohne - Gang und Gebe

So zeigen Beispiele, wie die St. George's Hall in Liverpool, das Royal Exchange in London und etliche weitere Gebäude dieser Zeit - auch in Italien oder Frankreich - dass Bauen ohne Korridor Gang und Gebe war. Das änderte sich aber im 19. Jahrhundert, als Kommunikation und Geschwindigkeit immer wichtiger wurden. Jarzombek: "Es gibt Gebäude, die laden zum Laufen ein und andere nicht. Der Korridor wurde als Raum für Geschwindigkeit geschaffen."

Der neue Informationshighway

Information wurde zum Prestigeobjekt, je größer das Reich und mächtiger der Herrscher, desto wichtigere Nachrichten galt es zu empfangen. Die Übermittler waren Laufboten, oder im Spanischen: "corredors". Damit sie den Herrscher schnell finden konnten, brauchte es einen "Informationshighway". Und der Korridor wurde geboren. Die zeitgenössische Architektur reagierte mit der Konstruktion von Gängen, damit der Bote auf kürzestem Wege ans Ziel kommen konnte. "Der Korridor wurde zum Prestigeobjekt, zu einem symbolischen Raum, der für Macht stand", meint Jarzombek. Flur, Gang, Korridor - sie wurden geschaffen, weil es die Zeit und die Umstände erforderten. Die Architektur reagierte auf die Anforderungen der Gesellschaft. Jarzombek: "It starts with society, not with space".

Spiegel der Gesellschaft

Und so machte der Gang die gesellschaftlichen Entwicklungen auch mit: Vom Prestigeobjekt spätmittelalterlicher Königshäuser und Palazzos, zum Ausführungsort militärischen Drills Mitte des 20. Jahrhunderts oder als "abandoned space" in den 1970ern. Gefeiert als Ort der Begegnung und gehasst als Drogenumschlagplatz, bis hin zum "ungeordneten Raum" und den Verzicht von Korridoren, die Architektur spiegelt die gesellschaftlichen Ansprüche und Trends wider, da ist sich Jarzombek sicher.

Dass Architektur umgekehrt auch Gesellschaft prägt, zeigt er am Beispiel von Lobbyisten. Diese "lungerten" ursprünglich in den Gebäude-Lobbys und warteten auf den richtigen Zeitpunkt um ihre Interessen an den Mann zu bringen. Möglich wurde die neue Berufsgattung nach Jarzombek erst mit der Einführung der Lobbys in der Architektur, die damit einen "new type of human" geschaffen hat. So ist der Flur mehr als ein Raum. Er ist Symbol für soziale Strukturen.

 

 

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Datum: 26.03.2013

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