Stadt der Zukunft - aus der Sicht eines Verkehrsplaners
Wenn die Stadt für Menschen die Zukunft sein soll, wird man die Autos aus ihr zu entfernen und am Rand unterzubringen haben. Und man wird merken wie viel Platz wieder für das Leben zur Verfügung steht, meint Verkehrsplaner Hermann Knoflacher im Gastkommentar.
Offensichtlich wirft die Zukunft ihre Schatten schon deutlich auf die Gegenwart zurück, wenn man die zunehmende Häufigkeit mit der dieses Thema behandelt wird als Indiz verwendet. Dabei weiß man von der Zukunft nur eines gewiss: dass sie ungewiss ist. Städteplaner haben, seit es diese Zunft gibt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit versucht ihre Vorstellungen von einer zukünftigen idealen Stadt zu entwerfen. Gelungen ist das auf Dauer kaum jemals. Die Stadt als soziales Gebilde ist ständig in Veränderung begriffen und das nicht nur innerhalb der Stadtgrenzen, sondern weit darüberhinaus. Nach Lewis Mumford hat die Stadt im Mittelalter Europas ihre höchste Entwicklungsform gefunden, die sich bestätigt, stattet man sie mit den modernen technischen Einrichtungen zeitgemäßer Ansprüche aus. Verkehrsplanerisch ist sie eine Katastrophe, da der öffentliche Raum in keinen Regelquerschnitt heutiger Stadt- und Verkehrsplanung passt, es gibt in dieser lebendigen Stadt eine Million davon auf einen Kilometer Straßenlänge. Und das macht sie für Menschen so anziehend, weil sie zu ihnen passt und aus ihnen geformt wurde, wie wir heute nachweisen können. Wird sie wieder belebt, was man durch Entfernen der Autos leicht bewerkstelligen kann, füllt sich der öffentliche Raum wieder mit dem Verkehr, den man seinerzeit darunter verstand: die Menschen verkehren miteinander. Jahrhunderte haben diese "organisch" um die Plätze und die Gassen - oft auch über letztere - gewachsenen urbanen Strukturen überstanden und sie passen immer noch zu uns, wenn man sie in ihren Verkehrsbeziehungen wieder herstellt.
Mit dem Fußgänger, dem Fahrrad und dem öffentlichen Verkehr wäre ein nahezu beliebiges Stadtwachstum auch in weitgehend nachhaltiger Form möglich gewesen – wäre nicht das Auto dazu gekommen und die Reichsgaragenordnung 1939. Mit der Vorschrift, zu jeder Wohnung oder jedem Betrieb Abstellplätze für Autos in der Nähe zu schaffen, wurde nicht nur der Verkehr, der die Stadt bildet, im öffentlichen Raum zerstört, sondern durch die Geschwindigkeiten und den Raumbedarf für Bewegungsprothesen auch die Stadt der Menschen selbst. Es wurden Städte für und um die Autos gebaut. Und diese passen leider in keine der wahrscheinlich möglichen Formen der Zukunft.
Wenn die Stadt für Menschen die Zukunft sein soll, wird man die Autos aus ihr zu entfernen und am Rand unterzubringen haben. Dann gibt es wieder Verkehr in den Lebensadern, den öffentlichen Räumen der Stadt, und man wird merken wie viel Platz wieder für das Leben zur Verfügung steht und wie erbärmlich der Städtebau in dieser Zeit der Spezies Autofahrer geworden ist. Stadt wird dann wieder ein Platz der Vielfalt statt der Einfalt, des Zusammenkommens statt Auseinanderfahrens, der freien und sicheren Mobilität werden, die mehr als ein halbes Jahrhundert unterdrückt wurde. Erst wenn der öffentliche Raum interessanter wird als der enge Blick in den Bildschirm und sich die zugestöpselten Ohren wieder der Realität öffnen, wird die Zukunft der Stadt interessant – auch für einen Verkehrsplaner.