© Stefan Nöbauer

Nicht mehr bauen, sondern Raum besser nützen

Die Architektin und Stadtforscherin Angelika Psenner von der TU Wien im immonet.at-Interview über soziale und kulturelle Durchmischung, Work-Life-Balance, warum Stehenbleiben am Gehsteig im urbanen Raum verboten ist und sie nie nach Aspern ziehen würde.

Architektin Angelika Psenner im immonet.at-Interview über soziale und kulturelle Durchmischung,Work-Life-Balance,den Leerstand im Erdgeschoß, warum Stehenbleiben am Gehsteig im urbanen Raum verboten ist, sie nie nach Aspern ziehen würde und die Straßenverkehrsordnung geändert gehört.

Was ist gut für eine Stadt, was braucht man für ein gutes Zusammenleben? Viele Experten sprechen von einer sozialen und kulturellen Durchmischung bis hinunter in die einzelnen Quartiere - ein Ideal?
Psenner: Ich glaube, dass man das schwer lenken kann, außer über die Marktwirtschaft. Wenn es irgendwo zu teuer ist, dann werden es sich bestimmte Schichten nicht mehr leisten können, aber das hängt vom Wohnungsmarkt ab. Quartiere, wo es einen starken Nicht-Wiener-Bewohneranteil gibt, machen mir jetzt keine großen Bedenken, wir sind ja nicht in der Banlieue in Paris, wo das letzten Endes wirklich gekippt ist. Also wenn jetzt der Brunnenmarkt eine starke türkische Bewohnerschaft hat, dann ist das etwas schönes, ich finde das spannend. New York funktioniert nur so. Da gibt es die Chassidim in Brooklyn und die Polen, und die Deutschen wohnen in Upper Manhattan, und die Italiener wohnen zwischen Polen und dem ganz, ganz superhippen Viertel in Williamsburg. Ich glaube, dass eine große Stadt so etwas vertragen kann, bis zu einem gewissen Grad. Man kann Leute aber nicht zwingen, sich zu mischen. Aber der Gedanke des roten Wiens damals, sozialen Wohnbau über die Stadt zu verteilen und auch in Döbling sozialen Wohnbau hinzustellen, finde ich sehr gut. Ich glaube, es muss sich die Waage halten zwischen einer bestimmten Art von Durchmischung. Es muss ein Gleichgewicht herrschen: Kulturen müssen ihren Platz haben und müssen sich auch zusammenrotten dürfen und es muss ein bestimmter Kontakt da sein. Dieser zufällige Kontakt im öffentlichen Raum, wenn ich in ein Lokal gehe oder zum Kebab-Stand, da passiert Integration, wenn wir den anderen sehen, die andere Kultur wahrnehmen und uns in irgendeiner Form einigen, was geht und was nicht und dazu ist es notwendig, dass es eine bestimmte Durchmischung gibt. Also sowohl als auch.


Es tut sich gerade sehr viel in Wien. Die aktuellen Projekte Seestadt Aspern, WU, Hauptbahnhof. Wenn Sie es sich aussuchen könnten, wohin würden Sie ziehen?
Psenner: Ich würde nicht nach Aspern rausziehen. Ich könnte dann nicht mehr mit dem Rad rumfahren. Ich liebe zwar den grünen Raum, aber ich mag nicht Pendeln. Ich kaufe auch kein Gemüse, das von irgendwoher kommt, weil ich auch LKWs auf Autobahnen nicht mag, also mein kleiner Beitrag ist einfach durch mein Leben und nicht als Wissenschaftlerin, dass ich versuche Wege kurz zu halten.


Was bedeutet für Sie Work-Life-Balance, was kann das in Realität sein?
Psenner: Das Arbeiten, das Wohnen und die Freizeit voneinander zu trennen, ist nachvollziehbar in einer Zeit um 1910 und 1920, wo das Arbeiten laut und stinkig war und die Bewohner unter diesen Mini-Industrien und Kleingewerben gelitten haben. Wir sind jetzt in einer Situation wo das sinnlos ist so zu denken, denn die Folge war logischerweise der Verkehr. Hier müsste ein starkes Umdenken passieren, es müssen Gesetze geändert werden. Es gibt ja jetzt noch das Gesetz, das besagt, dass in einer Geschäftsstraße das Wohnen erst im 1. OG erlaubt ist. Das stammt aus dieser Zeit, da wollte man eine durchgehende Geschäftsstraße. Das steht im Gesetz noch drinnen und macht andere Zugänge schwierig. Deswegen müssen wir eigentlich in Richtung Nutzungsmischung denken, in der Architektur, in der Stadtplanung und in der Strukturierung von einzelnen Gebäuden. Das ist für mich das faszinierende, dass unsere Gründerzeitbauten nutzungsneutrale Gebäude waren und sind. Denken sie an einen Wohnbau der 80 oder 90er Jahre. Können sie sich vorstellen, dass da eine Rechtsanwaltskanzlei einzieht oder dass ein großes Yogastudio den ganzen Stock nimmt, bei einer Raumhöhe von 2,50 m? Man kann keinen großen Saal mit einer solchen Raumhöhe machen. Für die Work-Life-Balance ist es notwendig, dass wir Quartiere und Gebäude haben, die dies ermöglichen, die von der architektonischen Struktur so sind, dass auch alles Platz hat.


Die Wohnbauproduktion lag in den letzten Jahren weit unter dem Bedarf, die Mietpreise steigen immer weiter, wohin führt das? Kann überhaupt noch so günstig gebaut werden, dass man sich Wohnen auch als Normalsterblicher noch leisten kann?
Psenner: Bis 2020 werden laut Statistik Austria 60.000 Menschen erwartet. Laut Christoph Chorherr gibt es pro Jahr einen Zuzug von 60.000 und einen Abzug von 40.000. Derzeit weiß ja niemand genau welche Zahlen stimmen, aber der Wohnbau kommt dem nicht ganz nach. Andererseits gibt es kolportierte 80.000 Leerstände in Wien. Wohnungen, die aufgrund von Spekulationen oder anderen Gründen nicht vermietet werden - hier muss dringend etwas geschehen. Es ist Wohnraum da, die Prokopfwohnraumzahlen nehmen stark zu. Es gibt viele Einfamilienhäuser in Österreich. Walter Siebel hat unlängst einen Vortrag gehalten "Was heißt Urbanität?" in dem er sich zum Gedanken der Nutzungsmischung geäußert hat: Wir haben Gebäude in denen gewohnt und Gebäude in denen gearbeitet wird. Und wenn man schaut, wie diese genutzt werden, sind das nur Prozente, also Büros werden nur acht Stunden genutzt, den Rest der Zeit steht das Gebäude leer, beim Wohnen ist das auch so. Wenn man an Wohnviertel denkt, wo sonst gar nichts passiert, da steht das ganze Viertel den ganzen Tag leer. Wir müssen haushalten mit den Ressourcen, die wir haben. Vielleicht geht es nicht nur darum, mehr Wohnungen zu bauen, sondern den Raum den wir haben besser zu nutzen.

Leerstände im Erdgeschoß sind nicht schön fürs Auge und bedeuten auch Wertverlust für andere Immobilien. Gibt es da schon Lösungen?
Angelika Psenner: Das Thema wird von allen Seiten angedacht und behandelt, man macht sich Gedanken darüber. Das heißt nicht, dass Lösungen am Tisch liegen, aber aus meiner Sicht ist das wichtigste der Individualverkehr, da hängt das Thema. Solange sich hier nichts Grundlegendes tut und zwar mehr als nur Parkraumbewirtschaftung - das ist auch schön - aber es sollte ein viel krasserer Schritt gemacht werden. Solange wir den öffentlichen Raum, den Straßenraum, dem Auto zur Verfügung stellen kommen wir nicht wirklich weiter.


Das heißt eine Citymaut muss her?
Psenner: Wenn man sich anschaut wie andere Städte das lösen, ist die Citymaut eine Möglichkeit. Eine andere, wichtigere Möglichkeit ist die Straßenverkehrsordnung zu ändern. Das wäre ein grundlegender Schnitt, zu sagen der Straßenraum ist nicht mehr Verkehrsraum - denn das steht detailliert drinnen, der Straßenraum ist Verkehrsraum. Fußgänger sind nicht so relevant für die Straßenverkehrsordnung, es gibt solche Aussagen, dass das unbegründete Stehenbleiben am Gehsteig im urbanen Raum verboten ist. Das muss man sich vorstellen, denn das hat zur Folge, dass der Aufenthalt am Gehsteig nicht gerne gesehen ist.


Wird das geahndet?
Psenner: Das wird geahndet z.B. beim Gassenverkauf, den es ja in anderen Städten gibt. Hier gibt es immer wieder Anrainer, denen das nicht passt. Das Mittel um den Gassenverkauf anzufechten ist die Straßenverkehrsordnung. Auf Grund des Verkaufs in den Gassenraum kommt es zu Akkumulationen von Menschen und das widerspricht der Straßenverkehrsordnung. Gassenverkauf macht das Erdgeschoß aber automatisch wieder interessanter für manche Sparten des Handels und gleichzeitig kann man hoffen, dass die mancherorts eklatante Zunahme von Verhüttelungen im öffentlichen Raum - Kioske z.B. am Schwedenplatz - gestoppt wird. In den Niederlanden, wo viele Städte sowieso sehr radfahrerfreundlich sind, gibt es eine Änderung: Straßen, die keine Durchzugsstraßen sind, sind per Gesetz als Aufenthaltsräume definiert. So etwas gehört meiner Ansicht in die Straßenverkehrsordnung hinein.
Diese Einstellung, wem gehört der öffentliche Raum, das muss sich ändern. Solange das Auto auf der Straße fast am Gehsteig und im Erdgeschoss wohnen darf, bleiben wir hängen an diesem Thema.
Ich habe im Herbst eine Forschungsreise nach Tokio gemacht und war überwältigt, wie es dort läuft. Es ist ja bekannt, dass Tokio den öffentlichen Verkehr wirklich super meistert. Aber was mir gar nicht so bewusst war, dass es in den Wohnvierteln nicht einmal parkende Autos gibt. Der Straßenraum ist so wie man ihn vielleicht von früher von schwarz-weiß Bildern von Wien kennt. Ich kann die Straße überall queren, ich muss mich nicht zwischen parkenden Pkws durchquetschen.


Sind die Autos dort in Garagen oder haben die Leute weniger Autos?

Psenner: Die Leute haben dort weniger Autos. Ich glaube, dass der Autobesitz für die Stadt nicht mehr tragbar ist. Natürlich ist es schön, wenn jeder ein Auto besitzen könnte. Aber wenn Städte so nicht mehr funktionieren, muss man einfach einen anderen Zugang finden. Die Politik traut sich nur nicht, das ist ein heißes Thema.


Wie wohnt man eigentlich als Stadtforscherin? Innerhalb des Gürtels oder außerhalb?
Psenner: Ich wohne innerhalb des Gürtels aus Überzeugung. Seit Anfang an - ich bin 1987 nach Wien gekommen - habe ich die ersten 21 Jahre in verschiedenen Wohnungen immer im 1. OG gewohnt. Das waren die billigeren Wohnungen. Ich hätte auch etwas im Erdgeschoß genommen, aber das wird nicht so oft angeboten. Nach der Geburt des zweiten Kindes sind wir dann in den 4. OG gezogen. Innerhalb des Gürtels deshalb, weil ich überallhin mit dem Rad fahre - auch im Winter. Innerhalb des Gürtels sind die Wege einfach angenehmer, auch zu Fuß: Ich kann vom Neunten in den Ersten spazieren. Ich schaue halt, dass meine Wege relativ kurz bleiben.


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Datum: 15.05.2012

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