© Jonathan Pielmayer

Der Stadt aufs Dach gestiegen

Noch viel Luft nach oben: Erwartungshaltungen, ästhetische Wunschbilder und planerischer Widerstand. Ein Architekt und eine Immobilienexpertin über die Wiener Dach- und Wohnlandschaften.

Wien wächst und setzt seinen Immohimmel in Wert: Bevölkerungsdruck, der Wunsch nach einem Leben in lichten Höhen sowie nach Rendite verändert die Dachlandschaft. Während Befürworter der Sanierungswelle, die neben den Gründerzeitgrätzeln längst auch den Gemeindebau erfasst hat – Stichwort: Demokratisierung des Dachgeschoßes –, mit Argumenten zur Lebens- und Wohnqualität jonglieren, warnen Kritiker vor dem Gentrifizierungs-GAU und einem veritablen Dachschaden der Wohnungspolitik. Doch wie viel Ausbau unterm Himmel verträgt und braucht Stadt? Wohin strebt die Architektur – und wodurch wird sie aufgehalten? Und was gefällt jenen, die in der obersten Etage angekommen sind?

Kein Dach ist tabu

Für Klaus Pristounig, geschäftsführender Gesellschafter von EINFACH3 Architekten, ist wienweit noch Luft nach oben – ohne Limit, „so lange es noch freie Dachflächen gibt“, wie er betont. „Wer ausbaut, bekennt sich zum Erhalt der städtischen Bausubstanz“, sagt der Architekt, der Büros in Wien-Neubau, Klagenfurt und Bad Vöslau betreibt. Und Sanierungsmaßnahmen seien bei vielen Objekten mittlerweile auch dringend notwendig. Immer öfter müssten Bauvorhaben durch geeignete „statistische Maßnahmen ertüchtigt“ werden, wie ihn die Erfahrung lehre – und die Kalkulation zeige. Auch Auflagen wie die Verpflichtung zu Stellplätzen würden die Planung erschweren, wenn nicht unmöglich machen, so der Architekt. Was den Preis für das Facelift wiederum in die Höhe treiben lasse.

Erhalt der Gründerzeitsubstanz, Neuinwertsetzung brachliegender Dachflächen: EINFACH3 Architekt Klaus Pristounig ortet Bedarf und fordert mehr Gestaltungsspielraum. (im Bild: ein EINFACH3-Ausbau am Wiener Naschmarkt). © EINFACH3 ARCHITEKTEN

„Wenig architektonischer Spielraum“

Dass mancherorts Allerweltslösungen die Dachlandschaft zieren, schreibt Pristounig nicht nur dem Sparstift, sondern trotz novellierter Wiener Bauordnung auch dem Paragrafendschungel zu. Die eigene Zunft, so sein Befund, renne hier weiter gegen Windmühlen an. „Die derzeitige Gesetzes­lage lässt in diesen Planungsaufgaben wenig Spielraum für architektonische Freiheiten.“ Er hofft weiter auf Einsehen und entsprechenden Sinneswandel. Dazu müssten aber die Verantwortlichen zur Einsicht kommen, dass eine neue Nutzung der Dachgeschoße auch nach einer neuen ästhetischen Formensprache verlange. Reformen, so Pristounig, seien hier unaufschiebbar.

Von der Sohle bis zum Scheitel

„Die unbedingte Erhaltung der ach so geliebten Dachfläche verhindert, dass neue spannende und vor allem auch besser nutzbare Architektur die Höhen erobert“, redet er Klartext. Doch eine Stadt lebe von der permanenten Weiterentwicklung ihrer Gebäudestruktur und ihrer architektonischen Stile. Seine Aufgabe sieht er folglich darin, diese Lebendigkeit vom Fundament bis zum First neu zu definieren – mit allen architektonischen Mitteln. Für den Architekten gehören die beruflichen Ausflüge aufs Dach folglich weiter zum Spannendsten, was sein Beruf hergibt. „Die Neuinterpretation und Weiterentwicklung des oberen Gebäudeabschlusses bleibt – trotz der eng gesteckten gesetzlichen Grenzen – ein wirkliches Highlight.“

Kein Einheitsbrei fürs High-End

Dass Normendickicht und Architektur von der Stange Hausbesitzer, Investoren und potenzielle Mieter abschrecken, weiß auch Elisabeth Rohr, Chefin des gleichnamigen Real-Estate-Büros und Maklerexpertin im „High-End“-Segment. Einheitsbrei im Sinne schlecht gebauter Dachgeschoße mit schwer bewohnbaren Flächen – und sie meint hier starke Schrägen oder Kaminwände – verkaufe sich zusehends schlechter. Auch die teils notwendige, der Erdbebennorm geschuldete Aussteifung der Gebäude wirke sich finanziell sehr ungünstig aus: Kein Wunder also, dass Bauträger für viel freiere Hand bei der Raumgestaltung plädieren würden, so die Expertin. Entsprechende Wünsche an den Gesetzgeber blieben aber ungehört.

© EINFACH3 ARCHITEKTEN

Die Dachlandschaft als abgehobene Wohnidee und Spielwiese für Superreiche? „Für Wohlhabende“, präzisiert sie. Was Menschen in die Höhe treibe, sei vor allem die Aussicht, viel Platz, Licht und Luft. „Nicht jeder sucht die Luxusausstattung“, erklärt Rohr. Wer wirklich nicht aufs Konto schauen muss, lässt laut Immobi­lienexpertin auch die Dachschräge hinter sich. „Gerade diese Kunden suchen oft gar keinen Dachgeschoßausbau. Derzeit geht der Trend eher dahin, einen schönen Altbau zu erwerben, wenn er wirklich repräsentativ und in einer tollen Lage ist.“

Verdichten versus verbreitern

Dass die Stadt weiterwachsen wird, ist fix. Die Frage lautet nur: wie – und wo? Mehr Wachstum in die Breite impliziere die Schaffung entsprechender Infrastrukturen, die dementsprechend kostenintensiv wären, sagt Rohr.
Für sie ist der Drang aufs Dach eine auf der Hand liegende Möglichkeit, die innerstädtische Verbauung zu verdichten. Wien liege hier noch weit hinter anderen europäischen Metropolen wie Paris, London, Mailand oder Madrid zurück. „Wenn wir unsere vielen Grünflächen erhalten wollen, ist wohl der Ausbau brachliegender Dachgeschoße eine gute Möglichkeit, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, und besonders schön wäre es, die diesbezüglichen Auflagen zu entrümpeln.“

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Datum: 04.09.2017

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