© Franz Pfluegl

Sanierung: Passivhaus-Standard via Innendämmung

Als weltweit erstes Objekt wurde eine Wiener Einzelwohnung auf Passivhaus-Standard gebracht. Es galt, Dämmdicken von 25 bis 35 Zentimeter in der Innendämmung zu realisieren. Der Lohn: Raumgewinn und Energieeinsparung.

"Energiesparen muss man sich leisten können“, sagt Robert Schild. Der Habitat Manager von Saint-Gobain wohnt in Wien Floridsdorf in einem Mehrfamilienhaus von 1960 und hat weltweit als erster die Innendämmung in der Sanierung einer Einzelwohnung auf Passivhaus-Standard realisiert.


Viele Jahre lang mussten Schild und seine Frau Monika jeden einzelnen Raum über einen Gaskonvektor mit Außenwandanschluss beheizen. Kalte Wandoberflächen, hohe Raumlufttemperaturen sowie Wärme- und Schallbrücken (Straßenlärm) waren die Folge. War die Heizung abgedreht, kühlten die Räume rasch aus. Fensterlüftung brachte stoßweise viel Zugluft. Dazwischen erstreckten sich beheizte Phasen mit schlechter Raumluft und hohem CO2-Gehalt.

Innen- statt Außendämmung
Zu den wichtigsten Maßnahmen bei der energetischen Modernisierung zählt die Wärmedämmung von Bauteilen. Die außenseitige Dämmung stellt bei Wänden die effektivste Lösung dar. Allerdings ist dies nicht immer möglich, beispielsweise bei denkmalgeschützten Fassaden, der Sanierung einzelner Wohneinheiten oder der Ausreizung der Bebauungsgrenzen.


Eine sinnvolle Alternative bietet in diesem Zusammenhang die Innendämmung. Mit Blick auf eine nachhaltige Senkung des Energieverbrauchs kommen ihr zwei wichtige bauphysikalische Aufgaben zu: Sie vermeidet einerseits Wärmeverluste über die Wände. Darüber hinaus verkürzt sie die Aufwärmzeiten von Räumen deutlich. Aufgrund unterschiedlicher Eigentümerinteressen im Mehrfamilienhaus kam eine Gesamtlösung jedoch nicht zu Stande.


Lösung reproduzierbar
Also entschied sich Schild dafür, die Sanierung seiner Wohnung als Einzelprojekt mit Systemen der Saint-Gobain-Unternehmen Isover, Rigips, Weber und Eckelt Glas zu realisieren. "Mir war wichtig, dass meine Lösung reproduzierbar war", so Schild. Alle benötigten Materialien wurden im Baumarkt gekauft.


Die neue Passivhaus-Wohnung der Schilds befindet sich im 4. Obergeschoß eines sechsgeschossigen Mehrfamilienwohnhauses. Die Wohnung ist nordseitig durch senkrechte Außenwände begrenzt. Die Südseite zeigt eine Dachschräge mit Drempelwand, die als Sargdeckel mit Dachflächenfenstern ausgeführt ist. Im darüber liegenden 5. OG befindet sich eine Dachwohnung. Die Ostseite schließt mit der Feuermauer an das "Haus der Begegnung" an. An der Westseite befinden sich die Wohnungseingangstür, das Stiegenhaus, der Liftschacht und die Nachbarwohnung. Die rechteckige Wohnnutzfläche ist mit einer Längsseite nach Süd-Südwest ausgerichtet. Morgen- und Abendsonne sind teilweise verschattet, wodurch die Effizienz der 2-kW-Photovoltaikanlage vermindert ist.

Das Wohngebäude wurde in den 1960er Jahren in massiver Ziegelbauweise ungedämmt errichtet. Die Südseite der Wohnung ist als Sargdeckelkonstruktion mit 22 Zentimeter Beton und fünf Zentimeter Heraklith-Putzträgerplatte auf der Innenseite ausgeführt. Schlafzimmer und Wohnzimmer sind nach Nord-Nordost, Kabinett, Küche, Bad/WC nach Süd-Südwest orientiert. Die Beheizung erfolgte über drei Außenwand-Gaskonvektoren, Warmwasser wurde mit einem Gas-Durchlauferhitzer erzeugt.


Mindestziel: Passivhaus-Niveau
Da der in der Sanierung zu erreichende Qualitätsstandard weit in die Zukunft reichen sollte, strebte Schild als Mindestziel ein Passivhaus-Niveau an. Dabei musste die bisherige bauphysikalische Praxis der Innendämmung mit Dämmdicken von fünf Zentimeter bis maximal zehn Zentimeter Dämmdicke weit überschritten werden. Erstmals galt es, Dämmdicken von 25 bis 35 Zentimeter in der Innendämmung im mitteleuropäischen Klima zu realisieren. Dafür mussten vielfach erst geeignete Konstruktionen für kondensatfreie und wärmebrückenreduzierte Details entwickelt werden.

Passivhaus-Hauseingangstür als Wohnungstür
Unvermeidbare thermische Schwachstellen in der Gebäudehülle wurden mit höherwertigen Komponenten an anderer Stelle möglichst kompensiert, z. B. mit Kastenfenstern auf der Nordseite bestehend aus Zwei-Scheiben Verglasung plus innen liegender Drei-Scheiben-Verglasung (Luftschallschutz gegen Straßenlärm). Der Fensterkasten selbst wurde mit 25 Zentimeter Innendämmung ausgeführt. Für die Wohnungstür wurde eine Passivhaus-Hauseingangstür eingebaut. Die Dachschräge wurde innenseitig mit 30 Zentimeter dicker Mineralwolle gedämmt, die Drempelwand sogar mit 35 Zentimeter. Heizung und Warmwasserbereitung erfolgen mit kontrollierter Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung und Luft-Wasser-Wärmepumpe als Kompaktgerät. Da die Wohnung im 4. Stock liegt, ist eine Vorerwärmung der Zuluft durch einen Erdbrunnen nicht möglich. Der zusätzliche Strombedarf soll überwiegend mittels einer 2-kW-Photovoltaikanlage abgedeckt werden.

Raumgewinn durch Innendämmung
Was auf den ersten Blick paradox erscheint, hat sich als positiver Effekt der Sanierung mit Innendämmung erwiesen. Der Raum in unmittelbarer Fensternähe war vor der Sanierung praktisch unbenutzbar. Die Gründe dafür waren laut Schild der Kaltluftabfall durch kalte Innenoberflächen der Fenster und Wände und die unbehaglichen Temperaturdifferenzen durch Heizen mit Gaskonvektor. Die Außenwand-Heizung war eine permanente Schall- und Wärmebrücke. Die Innendämmung beansprucht weniger Platz als die Heizung, und der Raum kann jetzt vollständig bis zur Außenwand behaglich genutzt werden. Selbst ein Regal als Bücherschrank konnte problemlos, ohne Gefahr von Schimmelbildung, vorgestellt werden. Auch rein kalkulatorisch wurde der Wert der Wohnung selbst bei formal geringerer Quadratmeterzahl durch die bessere energetische Qualität gesteigert. Die Nutzfläche sank von 77 auf 70 Quadratmeter.

Erforderlich waren außerdem eine Sanierung der Wasserinstallationen (veraltete und ungedämmte Leitungen), der Tausch der Dachflächenfenster mit außen liegender Abschattung, Erneuerung der Hauselektrik auf den Stand der Technik, Einbau einer einbruchhemmenden Wohnungseingangstüre, die Sanierung des Fußbodens im Kabinett sowie die Sanierung der undichten Gasleitungen.

Luftfilter wechseln: Drei Minuten Zeitaufwand
Im Vergleich zu den ohnehin notwendigen Sanierungsmaßnahmen erhöhten die komfortverbessernden und energiesparenden Maßnahmen die Investition um rund 60 Prozent, wobei ein komplett neues Badezimmer und eine neue Küche inkludiert sind. Dem Bauherrn geht es aber nicht um die Amortisation des finanziellen Mehraufwandes, sondern um die Erreichung gesteigerter Wohnbehaglichkeit zu jeder Jahreszeit und um zeitgemäßen Komfort unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit. Dank der Komfort-Wohnraumlüftung ist der CO2-Gehalt der Raumluft immer unter gemessenen 850 ppm. Extrem ruhig ist es selbst im straßenseitig gelegenen Schlafzimmer mit einem gemessenen, A-bewerteten äquivalenten Dauerschallpegel von 16 dB bei Betrieb der Lüftungsanlage. Besonders wichtig ist Schild die einfache und praktisch wartungsfreie Haustechnik. Mehr als zweimal jährlich den Luftfilter zu wechseln fällt nicht an. "Das sind nur je drei Minuten", so Schild.

Der Heizwärmebedarf gemäß PHPP (Passiv-Haus-Projektierungs-Paket) war vor der Sanierung bei rund 126 kWh/m²a und wurde mit 13,9 kWh/m²a als Ergebnis der Sanierung prognostiziert. Der über zwei Jahre hindurch gemessene Gesamtenergieverbrauch für Heizung, Kühlung, Lüftung, Warmwasser und Rebound beträgt 40 kWh/m²a. Rebound bezeichnet hier die Temperaturdifferenz und den Mehrverbrauch an Heizenergie einer nach PHPP kalkulierten (Design-)Raumtemperatur von 20 Grad Celsius im Winter und der tatsächlich gelebten behaglichen Raumtemperatur von 23 bis 24 Grad Celsius.

530 Euro pro Jahr zahlen die Schilds nun an Energiekosten. Und das könnte sich eigentlich jeder leisten.

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Datum: 27.03.2013

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