Detlef Gürtler- Senior Researcher, GDI Gottlieb Duttweiler Institut, Rüschlikon bei Zürich © GDI

Champions League der Metropolen

Welche Städte im globalen Wettbewerb auf Augenhöhe sind, wer um jeden Ball laufen muss und warum der Zug zum Tor über eine dynamisierte Digitalisierung läuft.
GDI-Researcher Detlef Gürtler über neue Spielzüge und Player beim Stadtranking.

Architektur im Mittelpunkt: Über Sinn und Zweck von City-Rankings lässt sich vortrefflich diskutieren, ja streiten: Was die Wahl der Kriterien, deren Gewichtung und schlussendlich deren Interpretation betrifft. Was sind ihre Tops und Flops – und warum?

Detlef Gürtler, GDI-Researcher: Erlaubt ist, was gefällt. Wenn man will, kann man für jede halbwegs große Stadt der Welt eine Statistik finden, nach der sie die beste der Welt ist. Und da jede halbwegs große Stadt der Welt eine eigene Abteilung für Imagemarketing und Wirtschaftsförderung hat, werden ziemlich viele solcher Statistiken gewollt. Manila zum Beispiel ist diejenige Stadt, deren Twitter-Account die meisten Follower hat, nämlich 4,4 Millionen. Kopenhagen ist die fahrradfreundlichste Stadt der Welt und Moskau hat von allen den längsten Eintrag auf der Tourismus-Webseite Wikitravel. Und lebenswerteste Stadt der Welt sind gleichzeitig Wien (im Mercer-Ranking), Melbourne (im Economist-Ranking) und Tokio (im Monocle-Ranking). Alle nicht genannten besten Städte der Welt bitte ich hiermit ausdrücklich um Entschuldigung.

Tel Aviv, Israel © rasika108/shutterstock.com

AIM: Sie haben den Grad der digitalen Vernetzung analysiert: Welche Grundüberlegung oder Kernthese stand am Anfang Ihrer Untersuchung?

DG: Es war die Hypothese einer Art „Champions League“ der Metropolen. Wien spielt nicht in einer Liga mit Salzburg oder St. Pölten, so wie Zürich nicht in einer Liga mit Montreux oder St. Gallen. Dafür spielen Wien und Zürich in einer Liga mit Berlin und Hamburg, Mailand und Madrid, Bogota und Bangkok. Innerhalb dieser „Metropolitans League“ gibt es vielfältige Verbindungen und Vernetzungen. Wenn es gelingt, für jede dieser Metropolen das Ausmaß der Vernetzung mit den anderen Mitspielern zu messen, müsste sich daraus eine Art Tabellenstand ermitteln lassen.

AIM: Warum gerade dieses Setting?

DG: Im Zentrum des GDI Global City Index steht der sogenannte „Reach 2“-Wert. Er misst, vereinfacht gesprochen, wie viele andere Mitglieder eines Netzwerks Sie mit zwei Sprüngen erreichen können. Auf besonders hohe Werte kommt, wer in einem Netzwerk besonders zentral positioniert ist – aber auch, wer Brücken zwischen zwei Netzwerken baut. Diese Daten werden von der vom Schweizer MIT-Forscher Peter Gloor entwickelten Condor-Software berechnet; mit ihr haben wir schon bei der Erstellung von Ranglisten der einflussreichsten Denker der Gegenwart gute Erfahrungen gemacht – dem Global Thoughtleader Index. In die Bewertung sind drei unterschiedliche Reach2-Werte in gleicher Gewichtung eingeflossen: einer für die Vernetzungsqualität innerhalb des Webs, einer gemessen anhand der Interaktionen im sozialen Medium Twitter und einer für die Vernetzung, die sich aus der Analyse des gesamten Textes der englischen Wikipedia ergibt.

AIM: Im Nachhinein: Mission accomplished?

DG: Anders als bei der Champions League gibt es bei der Metropolitans League kein Finale, an dessen Ende ein Gewinner gekürt werden kann: Es handelt sich eher um einen permanenten Wettstreit, in dem mal miteinander, mal gegeneinander gekämpft wird. Mit unserem Ranking, in dem als die fünf vernetztesten Metropolen Paris, Berlin, Los Angeles, London und New York herauskommen, fühlen wir uns ganz wohl. Dass unser Lokalmatador Zürich unter 68 untersuchten Metropolen auf Platz 68 gelandet ist, hat uns natürlich nicht rasend gefreut – andererseits handelt es sich bei Zürich nun mal um eine Nicht-mal-Millionenstadt ohne Hauptstadtfunktion, die seit bald einem Jahrzehnt keinen Verein mehr in die Champions League entsenden konnte.

Detroit, USA © ehrlif/shutterstock.com

AIM: Was können und sollen Ihrer Meinung nach Städte und ihre Player mit dem Ergebnis anfangen?

DG: Wie bei jedem anderen dieser Rankings werden diejenigen, die dabei besonders gut abschneiden, sich überlegen, ob sie die Ergebnisse in ihrer Werbung um Image und Investoren verwenden können. Und diejenigen, die schlecht abschneiden, werden es so intensiv wie möglich ignorieren. Wir würden allerdings jedem, der wie Wien nicht so gut wegkommt, dazu raten, über eine Förderung der Dynamik in der Digitalwirtschaft nachzudenken. Nicht um in einem möglichen nächsten Ranking besser abzuschneiden, sondern weil ein schlechtes Vernetzungsranking ein Indiz für tatsächliche Defizite einer Stadt sein kann.

AIM: Warum schmiert in ihrem Ranking die Stadt Wien, sonst gerne auf Top-platzierungen gebucht, derart ab?

DG: Vielleicht tröstet es Sie ja ein wenig, dass es Zürich noch stärker gebeutelt hat. In unsere Wertungen gehen einige Faktoren nun mal überhaupt nicht ein, die anderswo hoch gewichtet werden – Kriterien wie Lebensqualität, Grünflächen, Sicherheit, Kulturangebot. In all diesen Punkten schneiden die reifen, vergleichsweise gemütlichen Metropolen Europas besonders gut ab – und Wien ist sowohl in Bezug auf Reife als auch auf Gemütlichkeit eine herausragende Stadt. Wenn man, wie wir, eher Trubel und Dynamik hoch gewichtet, ergibt sich eben ein anderes Ergebnis.

San Francisco, USA © Rafael Ramirez Lee/shutterstock.com

AIM: Sind nicht soziale, wirtschaftliche und umweltorientierte Aspekte, sprich reale Indikatoren, doch wichtiger, wirklicher – und damit aussagekräftiger – als virtuelle Rangspiele?

DG: Es gibt beim Vergleich von Städten keine per se wirklichen, wichtigen und aussagekräftigen Aspekte. Tel Aviv ist schwuler als Wien, Detroit ist billiger und San Francisco teurer. Nichts davon spricht zwingend für oder gegen Wien – es kommt immer auf den Kontext an. Das gilt sogar für vermeintlich harte Daten wie Wirtschaftskraft, Bevölkerungsentwicklung oder Arbeitslosigkeit. Zum einen weil diese Statistiken auf sehr unterschiedliche Weise in sehr unterschiedlicher Qualität erhoben werden – nehmen Sie etwa die Differenzen bei der Bezifferung von informellem Sektor und Schattenökonomie. Und zum anderen, weil schon der Versuch des globalen Vergleichs zu Verzerrungen führt: Eine Rangliste beispielsweise, die Wirtschaftskraft in Dollar pro Kopf berechnet, liefert völlig andere Ergebnisse als eine, die mit jeweiligen nationalen Kaufkraftparitäten gewichtet; und die wiederum andere als eine, die mit spezifischen Kaufkraftparitäten für die jeweilige Stadt rechnet.

AIM: Danke für das Gespräch!

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Datum: 23.10.2018

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