© Pascal Smet

Schaumgebremst - ausgebremst …

Von der Stadtluft, die frei macht, zur Stadtluft, die krank werden lässt: Die Debatte rund um verkehrsgetriebene Belastungen der Innenstädte lässt die Wogen hochgehen. Umweltaktivisten, aber auch Politiker fordern rasche Lösungen.

Den Klimaforschern, Umweltaktivisten, Stadtplanern, natürlich den Ärzten und auch immer größeren Teilen der Bevölkerung sowie Vertretern der Politik stinkt es ja schon länger gewaltig: Ein Blick auf die jüngsten Schlagzeilen, Stand Juni 2018, zeigt, dass die Debatte rund um erhöhte Feinstaubwerte und der Kampf gegen die Stickstoffdioxidbelastung zuletzt weiter kräftig an Fahrt aufgenommen haben. Weil die Schadstoffkonzentration gerade bei windarmen Wetterlagen und da vor allem an den stark befahrenen Verkehrsadern die vorgeschriebenen Limits regelmäßig überschreitet, stehen neben der allgemeinen Forderung nach verschärften Luftreinhaltegesetzen ganz konkret die Einrichtung von Umweltzonen, Citymautmodelle und nicht zuletzt die heftig umstrittenen innerstädtischen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge zur Diskussion. Ausgebremst werden sollen die innerstädtischen Verursacher. Auch der steigende Individualpendelverkehr, der die NO2-Konzentration in den Häuserschluchten zu Spitzenzeiten mit auf die unerwünschten Spitzenwerte treibt und gleichzeitig die Lärmkurve steigen lässt, steht am Pranger.

Als einer von vielen fordert Rechtsanwalt Ugo Taddei von der Nichtregierungsorganisation Client Earth Maßnahmen zur Reduktion der Luftbelastung – ohne weitere Zeitverzögerung. Regierungen quer durch Europa scheiterten zurzeit an ihrer rechtlichen Verpflichtung, die Bevölkerung vor den Folgen der Luftverschmutzung zu schützen, wie er im Gespräch mit AiM bekräftigt. Allein 23 der 28 EU-Mitgliedstaaten würden aktuell gegen die EU-Luftqualitätsrichtlinie, welche die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid (40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft) festlegt, verstoßen. Während in Mittel- und Osteuropa sowie in der norditalienischen Po-Ebene das Thema Feinstaub virulent sei, hätten westeuropäische Städte den Kampf gegen die Stickoxide verstärkt aufzunehmen.

„Krise der öffentlichen Gesundheit“

Von 467.000 vorzeitigen Todesfällen, die jährlich auf das Konto schädlicher Abgase aus Industrie, Verkehr und Co gehen, war bei der „Urban Future Global Conference“ (UFGC) im Februar 2018 in Wien die Rede. Diese Zahlen, die von der Europäischen Umweltagentur (EUA) erhoben worden sind, lassen auch beim Anwaltsaktivisten die Alarmglocken schrillen. Um der „Krise der öffentlichen Gesundheit“, wie Taddei am Wiener Kongressparkett formulierte, Herr werden zu können, fordert er ein schnelles Umdenken auf allen Verwaltungsebenen. Geht es nach ihm, hat die öffentliche Hand in Angebot und Verbesserung der öffentlichen Verkehrsmittel zu investieren. Gleichzeitig müsse dem Wunsch nach dem eigenen Auto in der Stadt endgültig der Anreiz entzogen werden. Ebenso auf Taddeis Liste: ein dringlicher Umstieg auf E-Mobilität.
Um die definierten Grenzwerte einhalten zu können, führt für ihn auch kein Weg an Zufahrtsbeschränkungen für Dieselwagen vorbei. „Wir müssen hier von der Theorie endlich in die Praxis wechseln“ – und viele Emittenten auf vier Rädern von den Straßen der Städte wegbekommen, so der Anwalt. Freie Fahrt auf allen Stadtstrecken sollte es demnach nur noch für Fahrzeuge ab der Abgasnorm Euro 6 geben. Die vom deutschen Bundesverwaltungsgericht im Februar 2018 für rechtens erklärten Dieselfahrverbote, die es Städten nunmehr erlaubt, bei Überschreitung der NO2-Grenzwerte in den Verkehr eingreifen zu dürfen, sieht er als ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung.
Derzeit, so scheint es, ist man im Nachbarland diesbezüglich noch in der Testphase: So hat Hamburg erst kürzlich mit dem sektoralen Sperren zweier Straßenzüge nicht ganz freiwillig für internationale Schlagzeilen gesorgt.

Auch Brüssel, so Taddei, müsse verstärkt tätig werden. Dort hört man auf die immer kritischer und lauter werdenden wie warnenden Stimmen und pocht zunehmend auf die Einhaltung von Unionsrecht: Deutlichen Gegenwind verspürten zuletzt (Stand Frühsommer 2018) neben dem bereits erste Gegenmaßnahmen ergreifenden Deutschland auch Frankreich, Großbritannien, Italien, Ungarn und Rumänien, die wegen der Nichteinhaltung der Luftverschmutzungsgrenze in zahlreichen Städten von der EU verklagt wurden. Alle sechs Länder hätten es verabsäumt, sich für die Einhaltung der Grenzwerte für Feinstaub oder Stickoxide einzusetzen, erklärte Europas Umweltkommissar Karmenu Vella.

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Brüsseler Kampf gegen Verkehrs- und Luftkollaps

Dicke Luft herrscht aber auch in Brüssel selbst: Die Schaltzentrale Europas erstickt mit „schöner“ Regelmäßigkeit im Verkehr. Die Schadstoffkonzentration am Ring de Bruxelles/Grote Ring rond Brussel – die 75 Kilometer lange und häufig verstopfte Stadtautobahn – und an den großen Stadtdurchfahrten steigt nur allzu oft in den roten Bereich. Als Reaktion darauf, hat die Regionalregierung Teilverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge beschlossen. Seit dem Jahreswechsel 2017/18 ist für Modelle der Schadstoffklasse 0 und 1 ein Fahrverbot in Kraft, bis 2025 werden weitere Euro-Norm-Klassen aus der Stadt verbannt. Ende Mai 2018 twitterte die Regierung, dass man sich darauf geeinigt habe, bis 2030 ein komplettes Fahrverbot für alle Dieselfahrzeuge einführen zu wollen.

Daran ganz maßgeblich beteiligt ist Pascal Smet von der der Socialistische Partij Anders als zuständiger Minister für Mobilität und öffentliche Arbeiten in der zweisprachigen Region Brüssel-Hauptstadt. Seine Vision von einem „Brüssel für die Menschen“, die er bei der Wiener UFGC vorgestellt hat, wird damit ein Stück weit konkreter. „King car“, wie er gegenüber AiM meint, soll damit zumindest in Ansätzen entmachtet werden. Aktuell pendelten 350.00 Menschen werktags ins Herz der Hauptstadtregion. 50 Prozent würden dafür laut dem Regionalminister aufgrund der einseitigen Verkehrsinfrastruktur ins eigene Auto steigen. Auch innerhalb der Stadt ist der eigene fahrbare Untersatz noch die Regel. Aus Mangel an Alternativen, aber auch aus Gewohnheit.

Mobilitätsminister Smets Öffi-Offensive

„Als ich nach Brüssel kam, waren Plätze reine Parkplätze. Busse und Straßenbahnen steckten auf den überlasteten Straßen fest, Fußgänger drängten sich auf schmalen Gehsteigen ohne jedes Grün – und es waren kaum Radfahrer zu sehen“, erinnert sich der Minister. Manch Kritiker und Brüsselinsider meint, daran habe sich bis heute nicht viel geändert.

Smet, studierter Rechtsanwalt und seit 2003 im Brüsseler Politgeschäft, plant – jetzt an mitentscheidender Stelle im für Nichtbelgier oft undurchschaubaren föderalen Verwaltungssystem angelangt – an neuen Fußgängerzonen, an einem Radwegenetz, einer neuen Straßenbahn- sowie auch Metrolinie, die der Stadt ein neues, ein umweltfreundlicheres, grüneres aber auch menschenfreundlicheres Gesicht geben sollen. Geprägt sei er von Jan Gehl, sagt Smet. Jener dänische Architekt und Stadtplaner, der die bauliche Infrastruktur auf den Faktor Lebensqualität hin optimiert hat und als Wegbereiter der „Radstadt Kopenhagen“ bezeichnet werden kann.

Allein in den öffentlichen Verkehr sollen laut Mobilitätsminister rund 5,2 Milliarden Euro fließen. Geld ist auch für die Umrüstung der Busflotte vorgesehen. Seine Devise: going full electric! Spätestens Ende 2030, wenn der Dieselstopp Gesetz sein dürfte, sollen nur noch Elektro-Hybridbusse auf Brüssels Straßen unterwegs sein. Um die Emissionen in den Griff zu bekommen, will er weitere Mittel auch ins Park&Ride-System pumpen. Pendler aus Vlaanderen und der Région wallonne, die täglich in die 19 Gemeinden umfassende „Région de Bruxelles-Capitale/Brussels Hoofdstedelijk Gewest“ drängen, sollen für Mitfahrbörse-Apps begeistert werden. Wem das „Tinder für die Straße“ nicht zusagt, der möge – geht es nach ihm – in die ökologischeren Öffis ein- oder auf e-Carsharing umsteigen. Auch Roadpricing ist für ihn kein Tabuthema.

Föderalismus als Spielverderber?

Was sich schlussendlich umsetzen lassen wird, hängt von der Beweglichkeit der Parteien, des Verwaltungsapparates und auch der Bevölkerung ab: 19 Gemeinden formen die Hauptstadtregion. Das bedeutet auch 19 weitgehend unabhängige Bürgermeister, die sich zuallererst ihrer Kommune verpflichtet fühlen. Dass deren Pläne mit den großen Würfen der Region nicht immer viel zu tun haben müssen, lässt sich da leicht nachvollziehen. Smet nennt es eine „komplexe Situation“, die wichtigen Wandel wenn schon nicht verhindern, so doch auf die lange Bank schieben kann. Auch wenn er meint, dass sich gute Ideen langfristig doch durchsetzen ließen, spricht er sich vehement für eine Zentralisierung der Verwaltung aus. Seine 2017 gestartete Initiative #OneBrussels soll hier Bewusstseinsarbeit leisten. Dass er mit diesem politischen Programm vor allem in der konservativen Ecke auf starken Widerstand stößt, ist ihm bewusst. Er bleibt dennoch optimistisch. Die Bevölkerung hätte das politische Hickhack satt, wie er betont. Was sie vielmehr wolle, sei eine effiziente Regierung. Sich selber nennt er einen Politiker, der gerne auf lange Sicht arbeite. „Man mag mich kurzfristig angreifen. Aber wenn ich eines gelernt habe, dann das: Wenn du Probleme lösen willst, bekommst du Schwierigkeiten.“ Dies sei eben Teil des politischen Spiels. Ebenso, dass man Entscheidungen treffen müsse, die vielen Menschen vielleicht auf Anhieb nicht gefallen würden.

© COBE and BRUT

Menschen Raum geben: EU-Viertel wird belebt

Wogegen sich wohl auch eine zahlenmäßig starke Gruppe sträuben dürfte, ist die Zurückdrängung des Individualverkehrs von der städtischen Bildfläche. Das gegenwärtig noch dezentral organisierte Brüssel will so seinen Bewohnern und Besuchern, aber auch den Politikern Raum zurückgeben. Belebt wird aktuell unter anderem das Viertel rund um den Rond-Point Robert Schuman. Für das Entree ins EU-Quartier hatte die lokale Regierung einen Architekturwettbewerb ausgeschrieben, den das dänische Architekturbüro COBE mit seinem belgischen Projektpartner BRUT und ihrem Projekt „Place Schuman“ für sich entschieden hat. Hingucker: eine kreisförmige Dachkonstruktion, in der sich künftig ein „Ort der Begegnung“ spiegeln wird. Autos werden darunter keinen Platz mehr finden.

Schön hässlich …

Ähnlich wie sein Kampf gegen die Misere im öffentlichen Verkehr, ist Smets Einsatz für ein attraktiveres Stadtbild. So trommelt er für eine Stadt, die ihre besten Seiten zur Schau stellt. Manche meinen auch, er poltert. „Ich vergleiche Brüssel sehr oft mit einer Hure, einer Prostituierten. Denn sie ist schön und sehr geil und gleichzeitig kann sie hässlich sein.“ Für diese seine Sätze, gefallen in einem Podcast für das Magazin Politico, die 2017 in Belgien für Wirbel gesorgt haben, hat er sich schon kurz nach der Veröffentlichung entschuldigt. Gegenüber AiM formuliert er es heute weniger draufgängerisch. „Ich sehe die Schönheit wie die Hässlichkeit der Stadt, ich sehe aber auch ihr Potenzial. Ein Grund, warum ich dieses Ministeramt trotz aller damit verbundenen Schwernisse liebe: Man kann die Gestalt der Stadt designen!“

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Datum: 31.07.2018

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