Wie grün bauen wir wirklich?
„Jetzt oder nie” - angesichts rekordhoher globaler Emissionen beteuern Politik und Wirtschaft ein um das andere Mal ihre Entschlossenheit, die Klimakrise zu lösen. Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus: Viele sagen das Eine und tun das Andere. Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist da keine Ausnahme.
Vom Kakao aus verantwortungsvollem Anbau über den recycelten Rucksack bis zur schadstofffreien Kreuzfahrt – Unternehmen schmücken ihre Produkte und Dienstleistungen dieser Tage nur allzu gern mit Attributen, die Umweltfreundlichkeit suggerieren. „Grün”, „nachhaltig” oder „klimaneutral” – rechtlich nicht geschützte Begriffe – gehören in PR-Abteilungen von Unternehmen mittlerweile zum guten Ton. Mit Worten und Taten („Wir pflanzen Bäume!”), bemüht man sich um ein grünes Image, obwohl oder gerade weil das eigentliche Kerngeschäft immens schädlich für Klima und Umwelt ist. Der Etikettenschwindel hat längst einen Namen: Greenwashing.
Eine der klimaschädlichsten Aktivitäten des Menschen ist das Bauen. Schätzungen der UNO zufolge ist der Bausektor weltweit für rund 40 Prozent der energiebezogenen CO2-Emissionen sowie für mehr als die Hälfte des Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Im jüngst im April 2022 veröffentlichte IPOCC-Bericht (Intergovernmental Panel on Climate Change) wird einmal mehr darauf hingewiesen, dass es für die Zukunft entscheidend sein wird, wie Gebäude gebaut und betrieben werden. In Sachen Klimaschutz steht die Baubranche wie keine andere unter Zugzwang – und sie hat im Vergleich zu anderen viel aufzuholen, so Co-Autorin des IPOCC-Berichts Yamina Saheb. Sie ruft Architekten und Stadtentwickler eindringlich dazu auf, „zu überdenken, wie sie arbeiten”.
Viele tun das bereits und sind sich der Schlüsselrolle, die das Bauwesen beim Klimaschutz innehat, bewusst. Die „Architects for Future”, ein Zusammenschluss von Architekten, der sich für einen nachhaltigen Wandel stark macht, fordert alle in der Bauchbranche Aktiven unter anderem dazu auf, Abriss kritisch zu hinterfragen, gesunde und klimapositive Materialien auszuwählen und kreislaufgerecht zu konstruieren. Forschungsansätze, alternative Konzepte, innovative Leuchtturmprojekte und traditionelles Wissen zu nachhaltigen Konstruktionsweisen gebe es zu genüge. Einzig an durchschlagender Breitenwirkung mangle es. Peter Schubert, Gründungsmitglied von „Architects for Future Österreich” und Architekt bei capital [ A ] architects: „Auch wenn einige Architekten ökologische Ansätze propagieren, steht die Wirtschaftlichkeit der Gebäude für die Auftraggeber im Vordergrund.” Kosten und Flächen optimieren zu müssen und gleichzeitig ökologisch sinnvoll zu planen und zu bauen führt viele Bauschaffende offenbar in ein Riesendilemma – und mitunter zu „jeder Menge Greenwashing”, wie die deutsche Dachorganisation von „Architects for Future“ in einem Beitrag für den Zukunft Bau Kongress 2019 beanstandet.
Alles nur Fassade?
So lobenswert und gut gemeint sie auch sein mögen – viele Maßnahmen, die Gebäude „klimafit” machen sollen, verwässern das Konzept des nachhaltigen Bauens. Fassadenbegrünungen sind für hitzegeplagte Städter ohne Zweifel schön anzusehen, sie lösen allerdings nicht das Problem, das sich hinter der Fassade verbirgt: die dringende Notwendigkeit, CO2-Emissionen zu reduzieren. Laut Schubert können Gebäudebegrünungen dies nur ansatzweise leisten, weil Rankpflanzen, im Vergleich zu einem Baum vor dem Gebäude etwa, relativ wenig Kohlendioxid aufnehmen können. Weiters gibt Schubert zu bedenken: „Begrünte Flachdächer als auch Fassadenbegrünung können nur durch Bewässerung und den Einsatz synthetischer, erdölbasierter Dichtstoffe und Materialien erfolgen, die man beim ökologischen Bauen grundsätzlich zu vermeiden sucht.“

Bauen, aber nicht auf Kosten der Natur: Für das "BombaseiAreal" in Nänikon, ein Entwurf des Architekturbüros Atelier Schmidt, wurde der gesamte Lebenszyklus der Siedlung in den Blick genommen, von der Herstellung über den Betrieb bis hin zur Entsorgung. Die drei Mehrfamilienhäuser bestehen aus Raummodulen - vorgefertigte Holzrahmen, mit Stroh gedämmt und außen mit Kalk verputzt. © BeatBrechbuehl
Grüne Lösungen, die weitaus mehr als den Wohlfühlfaktor zu erhöhen vermögen, gibt es bereits im Bereich der Energieeffizienz. Bauschaffende konzentrieren sich, unter anderem aufgrund von Vorgaben der Politik, seit einigen Jahren stark auf die Betriebsenergie von Gebäuden – eine begrüßenswerte Entwicklung, wenn man bedenkt, dass der Betrieb, also Beleuchtung, Heizung und Kühlung, für etwa 28 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich ist. Nimmt man energieeffiziente Konzepte genauer unter die Lupe, tun sich allerdings auch hier Stolpersteine auf. Denn sie liefern häufig nicht das, was sie versprechen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass der gemessene Energieverbrauch oftmals viel größer ist als der in der Planung berechnete Energiebedarf. Eine umfangreiche britische Studie untersuchte knapp 60.000 Bildungseinrichtungen mit dem Ergebnis, dass 95 Prozent die vorhergesagte Gebäudeperformance nicht erreichen. Meist ist überhaupt nicht bekannt, wie es um den tatsächlichen Energieverbrauch eines Gebäudes bestellt ist. Christine Lemaitre, Vorstand des DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen), spricht sich für ein verpflichtendes Monitoring aus, um Architekten dazu zu bringen, sich auch nach seiner Fertigstellung mit dem Gebäude bzw. den erreichten Kennwerten zu beschäftigen: Was ist aus dem Bauprojekt geworden? Wie sieht die Ökobilanz aus? Aber auch: Wie geht es den Menschen, die darin leben? Die Lebenszyklusbetrachtung eines Gebäudes würde die „Kultur der Intransparenz“ beenden und eine Fehlerkultur etablieren – Schwachstellen könnten erkannt und systematisch verbessert werden, so Lemaitre. Ohne Monitoring werden Gebäude mit mitunter komplexer Haustechnik sich selbst bzw. den Nutzern überlassen. In vielen Fällen muss man davon ausgehen, dass sie mehr Energie verbrauchen als erforderlich – und ihnen lediglich ein gefälschtes grünes Ticket ausgestellt wurde.
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