Barrierefreiheit vor Hindernissen
Obwohl schon 2005 das Behindertengleichstellungsgesetz beschlossen wurde, stehen Menschen mit Behinderung noch immer vor Barrieren. Gründe für die schleppende Umsetzung des Gesetzes gibt es viele.
Fast zehn Jahre nach Beschluss des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes – das war im Juli 2005 – stehen Menschen mit Behinderung noch immer in vielen Fällen vor enormen oft unüberwindbaren Hindernissen. Barrierefreie Rampen oder Liftanlagen in Wohnhausanlagen gehören zwar zum guten Ton, doch es besteht Nachholbedarf. Spätestens ab dem Jahr 2016 aber müssen laut Gesetz alle Menschen mit Behinderungen Zugang zu allen Waren und Dienstleistungen erlangen können. Das bedeutet, Gebäude und Verkehrsmittel müssen barrierefrei erreich- und nutzbar sein. Denn die Teilhabe an der Gesellschaft ist ein Menschenrecht, das in der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen festgeschrieben ist. In Österreich sind laut Experten rund 20 Prozent der Bevölkerung betroffen. Das sind etwa 1,6 Millionen Menschen.
Ausnahmeregelungen bremsen Umsetzung
Doch das Thema und die damit verbundenen Rahmengesetze sind vielschichtig. So sind zwar die Barrieren laut Gesetz zu beseitigen. Zahlreiche Ausnahmeregelungen sorgen aber dafür, dass die Umsetzung aktuell nur schleppend vorangeht, so die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR). Ausschlaggebend sei der zentrale Passus der Zumutbarkeit, der den Aufwand sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit einbezieht. Klaus Voget, Präsident der ÖAR sieht politischen Handlungsbedarf beim Thema barrierefrei Bauen: „Wir versuchen seit langem eine Harmonisierung der Bauordnung zu erreichen - bis jetzt ohne nennenswerten Erfolg!"
Beispiel Niederösterreich
So ist es beispielsweise möglich, dass die NÖ Bauordnung in ihrem Entwurf vorschreibt, dass Geschäftsflächen erst ab einer Größe von 750 m2 barrierefrei sein müssen. Auch Veranstaltungsräume für weniger als 120 Besucher sowie Bewirtungs- und Beherbergungsbetriebe sind ausgenommen. „Purer Unsinn", sagt Voget. Im Wohnbau greift die Bauordnung etwas schärfer ein. So muss künftig der Eingangsbereich in Häusern mit mehr als zwei Wohnungen auf alle Fälle barrierefrei sein und in den Wohnungen der Sanitärbereich so anpassbar sein, dass man ihn bei Bedarf mit wenig Aufwand barrierefrei gestalten kann. Außerdem müssen die Türen mindestens 80 cm breit sein und die Gänge eine Breite von 120 cm aufweisen. Dass Personenaufzüge erst bei Bauwerken mit mehr als drei oberirdischen Geschoßen, also ab dem 4.Geschoss errichtet werden müssen, stellt allerdings ein Problem für viele Menschen mit Behinderungen dar.
Komplikationen im Altbestand
Hinzu kommt: zahlreiche Gebäude aus dem Bestand – insbesondere denkmalgeschützte Objekte – sind oft nur schwer umzurüsten. Der Burghauptmannschaft Österreich (BHÖ) obliegt die Immobilienverwaltung und Baubetreuung aller in den Ressortbereich des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft gehörigen bundeseigenen Liegenschaften und Gebäude in ganz Österreich. Dazu zählen unter vielen anderen die Hofburg in Wien, die Wiener Staatsoper, ebenso wie das Belvedere in Wien oder die Festung Hohensalzburg. Burghauptmann Reinhold Sahl: „Wir kommen in der Umsetzung gut voran. Allerdings kann in manchen Fällen die barrierefreie Umgestaltung aus bautechnischen Gründen und/oder wegen anderer Bestimmungen, wie dem Denkmalschutz, nicht realisiert werden. Das müssen wir organisatorisch lösen, zum Beispiel durch das Angebot eines Transportdienstes oder die Verlagerung der Veranstaltungen und Ausstellungen in andere Räume.“
Vorschriften besser abstimmen
Politischen Handlungsbedarf sieht auch Sahl: „Wir unterliegen zahlreichen Vorschriften und Normen. Neben dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz gilt es zum Beispiel auch, die Brandschutzordnung zu beachten und den Denkmalschutz einzuhalten. Ich würde mir eine bessere Abstimmung der verschiedenen Verordnungen wünschen.“ Trotzdem ist er zuversichtlich: „Das Thema Barrierefreiheit begleitet uns ständig. Wir haben einen Großteil der Arbeiten erledigt. Abgeschlossen werden sie nie sein, denn die Nutzung der Räume und Häuser ändert sich laufend.“
Optimierungspotenzial in Sachen Mobilität
Wo das Gesetz nur zum Teil zum Tragen kommt, ist die Mobilität. So sind ausreichende Mindestbreiten von Gehwegen, verlängerte Grünzeiten an der Fußgängerampel oder umfassende taktile Bodenleitsysteme für blinde Menschen nicht gänzlich vorgeschrieben. Maria Rosina Grundner, Referentin in der Mobilitätsagentur Wien: „Bei den Rahmenbedingungen für ein barrierefreies Straßennetz und die barrierefreie Nutzung von Öffentlichen Verkehrsmitteln existiert Optimierungspotential. Hätten die Betroffenen einen Beseitigungsanspruch und nicht nur den Schadenersatzanspruch, würde sich viel schneller etwas tun.“
Kostenfrage kein Argument
Das Argument hoher Kosten für die Umbaumaßnahmen werde immer vorgeschoben, so Grundner. „Gerade für die Adaptierung des Straßennetz wäre es sinnvoll Etappenpläne zu haben. Die Prioritätensetzung würde sich damit etwas verschieben, wie sich bei den öffentlichen Verkehrsmitteln wage erkennen lässt.“ Voget lässt für den Gebäudesektor das Argument hoher Kosten nicht zu: „Teuer wird es erst für zukünftige Generationen, wenn jetzt nicht barrierefrei ausgeführte Bauten, mit hohem Aufwand adaptiert werden müssen bzw. ältere, nicht mehr so mobile Menschen ins Pflegeheim übersiedeln müssen, weil sie nicht mehr in ihren eigenen vier Wänden leben können.“