Bodenfraß: Worauf bauen wir morgen?
Boden ist kostbar. Als Ware gewinnt er kontinuierlich an Wert, allein als natürliche Ressource ist er wie auch Wasser nicht vermehrbar. Das stellt uns vor Probleme. Warum wir darüber reden müssen, wie wir den Boden, auf und mit dem wir leben, in Zukunft nutzen.
Er trägt uns, er ernährt uns, er ist unsere Lebensgrundlage: der Boden. Wir brauchen, und verbrauchen ihn. Und das im großen Stil, wie die Zahlen der Statistik Austria zeigen. Durchschnittlich wächst die Flächenversiegelung in Österreich um 1,3 Prozent pro Jahr. Gemeint sind jene Flächen, die im Zuge von Gebäudebau oder für die Errichtung von Straßen und anderen Verkehrsflächen zubetoniert werden. Im Jahr 2019 verzeichnete man zwar einen leichten Rückgang, das Ausgangsniveau jedoch ist hoch. Zur Veranschaulichung: Von rund 83.880 Quadratkilometern Landesfläche eignen sich etwa 31.000 oder 37 Prozent als Dauersiedlungsraum. Die restliche Fläche besetzen die Alpen. Vom Dauersiedlungsraum sind bereits knapp 18 Prozent für Siedlungs- und Verkehrszwecke sowie Erholungsnutzung, Deponien, Abbauflächen und Kraftwerksanlagen verbraucht.
Die Zahlen sind der Politik seit langem bekannt. Leitziele, die in der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes 2002 (NSTRAT) für das Jahr 2010 formuliert wurden, wurden allerdings weit verfehlt. Im aktuellen Regierungsprogramm der türkis-grünen Koalition findet sich nun ein eigener Abschnitt zum Thema „Gesunde Böden und zukunftsfähige Raumordnung”. Bis 2030 soll der Bodenfraß auf 9 km² pro Jahr reduziert werden. Der vom Umweltbundesamt ermittelte aktuelle 3-Jahresmittelwert liegt bei 44 km², die Größe von Eisenstadt. Im an solcher Stelle fast obligatorischen Vergleich sind das 25 Fußballfelder. Zudem soll „mittelfristig zusätzliche Bodenversiegelung durch Entsiegelung von entsprechenden Flächen” kompensiert werden. Ein Vorhaben, dem Grenzen gesetzt sind, sprechen Experten bei Bodenversiegelung doch von einem nahezu irreversiblen Prozess. Denn was einmal unter Asphalt und Beton verschwunden ist, lässt sich später nicht einfach mit einem Druck auf den Reset-Knopf wiederherstellen.
Wir bauen uns zu
Entgegen der weitläufigen Annahme ist der anwachsende Flächenverbrauch nicht damit zu begründen, dass die Bevölkerung stetig wächst und einfach mehr Platz braucht. Tatsächlich steigt der Flächenverbrauch mehr als doppelt so schnell wie die Bevölkerung. Seit 2001 nahm er in Österreich um 27 Prozent zu, die Bevölkerung aber nur um 10,4 Prozent. Angesichts der überbordenden Verbauung könnte man gar zum Schluss kommen, dass längst alles da ist, längst alles gebaut ist. Über zwei Millionen Gebäude unterschiedlicher Funktionen und Altersklassen gibt es in Österreich laut letzter Registerzählung der Statistik Austria im Jahr 2011. Den größten Anteil am jährlichen Bodenverbrauch haben Betriebsflächen. 14 bis 31 km² beträgt hier der Zuwachs Jahr für Jahr. Der Anblick verödeter Ortskerne auf der einen und wuchernden Gewerbeparks auf der anderen Seite ist hierzulande ein nur allzu vertrauter.
Gleichzeitig liegen immer mehr Industrie- und Gewerbegebäude brach. Ihre Revitalisierung könnte dabei helfen, den jährlichen Flächenneubedarf einzudämmen. Nachnutzung statt Flächenfraß ist in Deutschland bereits ein großes Thema. Die Bereitschaft in leerstehende Gewerbeobjekte zu investieren bzw. diese zu revitalisieren ist in Österreich hingegen nach wie vor gering. Das Image dieser Flächen ist schlecht. Eine etwaige Bodenverunreinigung oder die Kosten für Brandschutz und weitere gesetzlich vorgeschriebene Sanierungsmaßnahmen verhindern, dass sie in den Nutzungskreislauf zurückgeführt werden. Dem Risiko, sich möglicherweise etwas Unkalkulierbares einzuhandeln, ziehen die Investoren einen Neubau auf der grünen Wiese vor, der meist auch noch günstiger ist. Rechtliche und finanzielle Sicherheiten für Investoren könnten das ändern, Brachflächen-Recycling gezielt gefördert werden.
Bodenschutz ist Klima- und Umweltschutz
Ob Bestand oder Neubau – der Boden dient längst nicht nur als Unterlage für das Bauen. Während CO2-Reduktion und der Umstieg auf erneuerbare Energien in der Klima- und Umweltschutzdiskussion in aller Munde sind, taucht die so dringliche Frage, welchen Einfluss der Boden auf die Geschwindigkeit des Klimawandels hat, nur am Rande auf. Der Boden ist im Vergleich zu anderen Akteuren in den Köpfen weniger präsent. Dabei hat er als gigantischer CO2-Speicher eine entscheidende Rolle inne. Feuchte Böden speichern mehr Wärme, kühlen so die Atmosphäre und schützen vor Überhitzung – für das Mikroklima dicht bebauter Städte besonders wichtig. Werden Böden hingegen versiegelt, verlieren sie laut Umweltbundesamt nicht nur ihre Kühlfunktion, sondern alle ihre biologischen Funktionen, weil der Austausch von Sauerstoff und Wasser nicht mehr erfolgen kann. Das Hochwasser- und Überschwemmungsrisiko steigt, die biologische Vielfalt geht verloren, genauso wie die Grundlage für die Versorgung mit Nahrungsmitteln, weil der Hunger auf Boden in erster Linie Agrarflächen dezimiert. Einen sorglosen Umgang mit Grund und Boden können wir uns also eigentlich nicht leisten. Dennoch scheint das Problembewusstsein in der breiten Öffentlichkeit noch eher gering.