Mehrkosten bei verzögerter Auftragsvergabe
Wie weit darf nach vergaberechtlichen Grundsätzen ein bereits abgeschlossener Vertrag abgeändert werden? Ein aktueller Fall sorgt hier für Diskussion. Vergaberecht-Experte Thomas Kurz erklärt die Rechtslage und den Anlassfall.
Die Thematik, wie weit nach vergaberechtlichen Grundsätzen ein bereits abgeschlossener Vertrag geändert werden darf, wurde insbesondere in Österreich viele Jahre hinweg mehr oder weniger ignoriert: Mit Vertragsabschluss (also mit Zuschlag im Vergabeverfahren) hatte das Vergaberecht seine Schuldigkeit getan. Seit vor einigen Jahren allerdings der Europäische Gerichtshof (zB EuGH vom 19.6.2008, Rs C-454/06 – „Pressetext“) klarstellte, dass es hier Grenzen gibt, hat sich schon annähernd ein gewisses Problembewusstsein entwickelt.
Die Rechtslage
Der EuGH hat in einigen Einzelfallentscheidungen gewisse „Schmerzgrenzen“ der zulässigen Vertragsänderung beschrieben, die ganz grob wie folgt lauten:
- Das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung darf nicht zugunsten des Auftragnehmers verschoben werden.
- Es dürfen nicht in großem Umfang ursprünglich nicht vorgesehene Leistungen hinzukommen. Soweit es sich allerdings um „notwendige“ Zusatzaufträge wegen nicht vorhersehbarer Ereignisse handelt, sind diese bereits jetzt gemäß § 28 Abs 2 Z 4 Bundesvergabegesetz (BVergG) bis zu einem Ausmaß von insgesamt 50% der ursprünglichen Auftragssumme (bei Sektorenauftraggebern entfällt diese 50%-Schwelle) erlaubt.
- Die Änderungen dürfen den Wettbewerb nicht nachträglich dahingehend verfälschen, dass unter den geänderten Bedingungen ein anderes Angebot den Zuschlag erhalten oder sich ein anderer Bieterkreis am Vergabeverfahren beteiligt hätte.
Die derzeit auf europäischer Ebene diskutierten neuen EU-Vergaberichtlinien werden übrigens diese EuGH-Judikatur erstmals in konkrete Bestimmungen fassen und ausdrückliche Grenzen für Vertragsänderungen ziehen. Jenseits dieser Grenzen müsste ein Auftraggeber geänderte oder zusätzliche Leistungen neu ausschreiben.
Ein Anlassfall
In einem Fall in Deutschland ging es nun darum, dass aufgrund verzögerter Auftragserteilung (das Vergabeverfahren dauerte deutlich länger als geplant) der Auftragnehmer erhebliche Mehrkosten verlangte und ihm diese nach dem Vertrag auch zustanden. Der Auftraggeber versuchte sodann, die Mehrkosten mit dem – auch in Österreich nicht unbekannten und von Auftraggebern schon vorgebrachten – Argument abzuwehren, dass dies eine wesentliche und daher vergaberechtlich nicht zulässige Vertragsänderung darstelle und deshalb nicht zu bezahlen wäre.
Der deutsche Bundegerichtshof (BGH vom 10.1.2013, VII ZR 37/11) wies diesen Einwand ab. Die Mehrkosten waren nach dem vereinbarten Vertrag korrekt und verändern daher nicht das wirtschaftliche Gleichgewicht, sondern ändern lediglich die Preisgrundlagen entsprechend der veränderten Bauzeit. Weder wurde der Auftrag erweitert noch das Gleichgewicht des Vertrags zugunsten des Auftragnehmers verändert.
Die Entwicklung
Es wird abzuwarten sein, zu welchem Ergebnis die Verhandlungen der EU-Richtlinien in diesem Punkt führen werden. Dies wird mit Interesse vom Markt – nicht nur von jenem für Bau und Immobilien – erwartet, denn die Frage, wie weit ein öffentlicher Auftraggeber nach dem Zuschlag auf geänderte Verhältnisse und Rahmenbedingungen durch Vertragsänderungen reagieren darf, ohne die Leistungen ganz oder teilweise neu ausschreiben zu müssen, berührt fast jeden Auftrag.