© Heid Schiefer

ORF in Zwickmühle

Für den Sender ist es ein Dilemma: Der ORF ist also doch ein öffentlicher Auftraggeber - und kann die Rechts-Entscheidung nicht bei den Höchstgerichten anfechten, da er in der Sache selbst das Verfahren gewonnen hat.

Der Österreichische Rundfunk (ORF) hat bereits seit Anbeginn der Existenz des Vergaberechts vielfach den Verdacht erregt, er müsse doch wohl das Bundesvergabegesetz anwenden; er selbst sah dies bislang anders. Bis dato war allerdings eine konkrete Entscheidung dazu ausgeblieben, denn auch im Vergaberecht gilt grundsätzlich „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Nun fanden sich sowohl das eine als auch das andere.

Der Ausgangsfall

Der ORF wollte Bauleistungen zur Errichtung einer Containersiedlung am Küniglberg beschaffen, um seine Mitarbeiter für dringende Sanierungsarbeiten vorübergehend umsiedeln zu können. Da er auf dem Standpunkt steht, kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des Bundesvergabegesetzes zu sein, hatte er direkt einige Unternehmen zur Angebotslegung eingeladen.

In der Folge waren manche Unternehmen mit der Vorgangsweise des ORF in diesem Verfahren bzw mit der Form der Ausschreibung nicht einverstanden, und es kam zur Auseinandersetzung vor dem Bundesvergabeamt (F/0005-BVA/02/2012 sowie F/0006-BVA/02/2012).

Die Fragestellung

Ob ein Auftraggeber das Vergaberecht anzuwenden hat, wird im Wesentlichen in § 3 Bundesvergabegesetz geregelt. Diese Bestimmung stellt einen „Meilenstein“ in seiner juristischen Komplexität dar. Um öffentlicher Auftraggeber zu sein, muss man ganze vier Eigenschaften gemeinsam erfüllen (ausgenommen Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, die immer öffentliche Auftraggeber sind):

  • Der Auftraggeber muss zu dem besonderen Zweck gegründet worden sein, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen.
  • Der Auftraggeber muss zu dem besonderen Zweck gegründet worden sein, Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind.
  • Der Auftraggeber muss zumindest teilrechtsfähig sein.
  • Die (unscharf bezeichnet) „öffentliche Hand“ muss den Auftraggeber überwiegend finanzieren oder beaufsichtigen oder die Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane ernennen.


Die letzte Voraussetzung war beim ORF unstrittig, weil die Besetzung des Stiftungsrates und damit indirekt auch der anderen Organe eindeutig mehrheitlich durch die öffentliche Hand erfolgt. Auch die Finanzierung des ORF erfolgt, wie sich im Verfahren herausgestellt hat, überwiegend öffentlich. Die Teilrechtsfähigkeit war beim ORF als Stiftung öffentlichen Rechts ebenfalls problemlos erfüllt. Auch gegen das Vorliegen der ersten Voraussetzung wehrte sich der ORF nicht, denn der ihm gesetzlich übertragene „öffentlich-rechtliche Programmauftrag“ liegt eindeutig im „Allgemeininteresse“. Es blieb die Frage, ob er Aufgaben „gewerblicher Art“ erfüllt, als strittiger Punkt.

Die Entscheidung des Bundesvergabeamtes

Diese „gewerbliche Art“ liegt nur dann vor, wenn der Auftraggeber bei der Erfüllung seiner Aufgaben im Wettbewerb steht; mit anderen Worten: Wenn der Markt, in dem er tätig ist, selbst ausreichend dafür sorgt, dass der Auftraggeber mit seinem Vermögen wirtschaftlich umgeht.
Dies hat das Bundesvergabeamt in Abrede gestellt (Entscheidungen vom 27.9.2012 zu obigen Geschäftszahlen): Der ORF hat bei seinem Kernauftrag, also dem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag, eine „Quasi-Monopolstellung“, und erhält in diesem Bereich als ausschließliche Rundfunkanstalt eine öffentliche Finanzierung über das Programmentgelt (dass dieses Programmentgelt eine „öffentliche Finanzierung“ darstellt, hat der ORF im Verfahren ua mit dem Hinweis, dass es als Entgelt für den Programmempfang einem privatrechtlichen Vertrag entspräche, bestritten; jeder, der einen hoheitlichen Gebühreneintreibungsbescheid für das Programmentgelt erhält, wird sich allerdings zu Recht fragen, wann er denn einen solchen Vertrag abgeschlossen hätte). Der ORF ist auch nicht auf Gewinn gerichtet; sein Hauptzweck ist nach dem ORF-Gesetz eben die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages, nicht die Gewinnerzielung. Darüber hinaus hielt das Bundesvergabeamt fest, dass den ORF angesichts dessen, dass er derzeit jährlich erhebliche zusätzliche öffentliche Gelder als Ausgleich für Verluste und bestimmte Strukturmaßnahmen erhält, faktisch kein Insolvenzrisiko trifft; es also anzunehmen wäre, dass ihn der Staat nicht fallen ließe.
Dass der ORF zum Teil auch gewerblich tätig sei (im Rahmen seiner „kommerziellen Tätigkeiten“, die er neben der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrages ausüben darf), ändert daran nichts, denn nach ständiger Judikatur der Vergaberechtsschutzbehörden gilt hier die sogenannte „Infektionstheorie“: Wenn ein Teil des Auftraggebers diese Voraussetzungen erfüllt, so ist er insgesamt öffentlicher Auftraggeber.

Künftige Vorgangsweise des ORF

Der ORF kann diese Entscheidung nicht bei den Höchstgerichten anfechten, da er in der Sache selbst das Verfahren gewonnen hat; die Auftraggebereigenschaft war lediglich eine Vorfrage für die Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes. Theoretisch kann er versuchen, wiederum ohne Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen Leistungen zu beschaffen und, wenn sich ein Bieter beschwert, vielleicht von einem anderen Senat des Bundesvergabeamtes eine gegenteilige Beurteilung zu erhalten. Der Sinn und die Erfolgschancen einer solchen Strategie wären allerdings gering.

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Archivmeldung: 05.10.2012

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