Atriumhaus: Wo der Himmel den Garten ersetzt
Ein Haus ohne Garten planen? Für viele unvorstellbar. Selbst in Zeiten von astronomischen Grundstückspreisen und Mini-Bauparzellen. Dabei gäbe es vollwertigen Ersatz: das Atriumhaus.
Der große Durchbruch ist dem Atriumhaus in der heimischen Architekturlandschaft bislang nicht so recht gelungen. Und das, obwohl der Haustyp immer wieder einmal Furore gemacht hat. So zum Beispiel die Atriumhäuser von Fritz Matzinger. Der oberösterreichische Architekt entwickelte bereits vor gut fünf Jahrzehnten für sein Modell des nachbarschaftlichen Wohnens Häuser, die mit architektonischen Mitteln ein harmonisches Zusammenleben fördern sollten, ohne dabei das Bedürfnis nach Privatheit zu vernachlässigen. Zu diesem Zweck bilden in Matzingers Entwürfen meist acht zweigeschossige Reihenhäuser in geschlossener Bauweise einen ca. 200 Quadratmeter großen Innenhof, das sogenannte Atrium, über das alle Häuser der Baugruppe erschlossen sind. Im Fall von Matzingers Prototyp “Les Palétuviers” in Leonding fungieren gleich zwei davon als eine Art Dorfplatz, auf dem die Bewohner – einer davon der Architekt selbst – sich ganz zufällig begegnen, spielen, sporteln und feiern. Für ein ähnliches, im Jahr 2000 fertiggestelltes Projekt, die Wohnanlage “Guglmugl” unterhalb des Botanischen Gartens in Linz, gewann Matzinger 2019 den Daidalos-Preis für “Bewährtes Bauen”. Die insgesamt 32 Wohneinheiten wurden einst in enger Zusammenarbeit mit den künftigen Bewohnern geplant und auf deren individuelle Bedürfnisse abgestimmt. Die meisten von ihnen wohnen heute noch im Haus. Matzingers Wohnanlagenkonzept ist laut Jurybegründung nach 20 Jahren so aktuell wie nie: gemeinschaftlich, generationsübergreifend, ressourcenschonend. Trotzdem entspricht das Atriumhaus für den verdichteten Wohnbau heute nicht den Vorstellungen vieler Familien, wahrscheinlich auch deshalb, weil solche Wohnmodelle, die auch den sozialen Aspekt berücksichtigen, eher unbekannt sind. Der moderne Wohnbau, wie er gegenwärtig verfolgt wird, unterbinde zufällige Begegnungen zwischen den Bewohnern, kritisiert Matzinger in einem Interview. Der enge Kontakt zur Nachbarschaft, die kurze Begegnung vor dem Haus oder das spontane Gespräch am Gang – all das bleibt immer häufiger aus, wird den Menschen zunehmend fremd. Der Abstand zwischen den Menschen wird größer.
Rückzug auf dem Vormarsch
Trendforscher sprechen von “Cocooning”, um den Rückzug aus dem öffentlichen Leben ins Private zu beschreiben. Ein Lebensgefühl, das Menschen besonders in Krisenzeiten dazu bringe, sich in die eigenen vier Wände zurückzuziehen wie in einen Kokon. Die beliebteste Schutzhülle, wenn man so will, ist das freistehende Einfamilienhaus mit Garten. Dieses gilt für 80 Prozent der Österreicher immer noch als die ideale Wohnform. Es verspricht mehr Intimität, mehr Individualität. Tatsächlich aber kann in den typischen Vorstadt-Siedlungen von Privatsphäre oft nicht die Rede sein. Gebäude stehen dicht an dicht, die Terrassen und Gärten sind einsehbar.
Hier kommt einmal mehr das Atriumhaus ins Spiel. Als zeitgemäße, funktionale Lösung mit viel Gestaltungsspielraum kann es eine ansprechende Alternative zum klassischen Einfamilienhaus sein, die sich selbst für schwierig zu bebauende Grundstücke am Stadtrand eignet. So realisierte Architekt Jürgen Radatz auf einem steilen, schmalen Nordhang im niederösterreichischen Klosterneuburg einen Neubau mit zentralem Innenatrium – Herzstück und Tageslichtquelle zugleich. Das Atrium befindet sich in der Mitte des aus zwei Kuben bestehenden Baukörpers, die ineinander verschnitten wurden. Belichtet wird es von oben, die hohen und weiß gestrichenen Wände dienen als Reflexionsflächen. Dadurch gelangt in den nördlich gelegenen Wohnraum ausreichend Tageslicht. Die Geschosse wurden in Split-Level-Bauweise ausgeführt. Der Luftraum des Atriums erlaubt die Kommunikation über die Geschossebenen hinweg. Für Radatz sind Innenatrien vor allem auch räumlich eine interessante Lösung: “Über die Innenatrien können die Räume von oben sehr schön belichtet werden, darüber hinaus werden die Erschließungsflächen nicht zu Gängen, sondern zu Galerien mit Ein- und Ausblicken nach oben und unten.”