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Büroexperte: Der Nichtstandard ist meine Welt

Sie werden für das Design von Hollywood-Blockbustern gebucht und inszenieren neue Bürowelten, die ganz realen Bedürfnissen des modernen Berufslebens Raum geben. Wideshot-Teamchef Oliver Bertram tuned die Hochleistungsmaschine Arbeitsplatz.

Sein Credo: Optimiert ist noch lange nicht inspirierend! Menschen brauchen Abwechslung und Stimulation, um noch besser zu werden. Ein Plädoyer über Nachdenkräume und sehr viel Platz für die kreative Auszeit.

Architektur im Mittelpunkt: Alle reden vom Office der Zukunft. Wie wird es aussehen? Und wird es wirklich so anders sein?

Oliver Bertram, Architekt: Wenn wir darüber sprechen, müssen wir Zukunftsszenarien betrachten und die Büros und Arbeitssituationen dafür entwickeln. Wir sehen unzählige Megatrends, die wir verfolgen und in Umgebungen abbilden können. Was wir heute in Bestandsbüros vorfinden, unterscheidet sich davon natürlich beträchtlich. Im Großen und Ganzen finden wir drei Situationen vor:

Wir haben einmal eine „Welt der Stehengebliebenen“. In dieser haben sich Arbeitgeber in den letzten Jahrzehnten um den Job gekümmert – und nicht um ihre Umgebung. Das muss jetzt nichts zwingend Schlechtes sein: Gemeint sind hier diejenigen, die aus verschiedensten Gründen keine Entwicklung und Fortführung in Betracht gezogen haben.
Andere, die nicht stehen geblieben sind, sitzen heute in einem zeitgenössischen Umfeld. Ihre Welt? Vielleicht ein Großraumbüro mit einem grauen Teppich, mit ganz normalen höhenverstellbaren Stühlen. Das, was man eben so kennt. Was zum Teil auch ziemlich ordentlich ist. Teilweise anfangs mit großen Investitionen verbunden war, gepflegt wird, und im Großen auch von den Mitarbeitern so halbwegs geschätzt wird.

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Dann zeichnet sich jetzt schon die Welt der zukunftsgewandten „early adopter“ ab. Diejenigen, die sich an den Erfolgsmodellen anderer kreativer und technologiegetriebener Disziplinen orientieren und diese heute schon umsetzen. Die Frage, die sich jetzt schon stellt, lautet: Welches dieser Modelle wird sich in Zukunft durchsetzen? Pure Qualität? Schnelle Anpassbarkeit? Reine Funktionalität? Ist es eines, oder sind es mehrere?

Insofern präsentiert sich uns als Entwickler und Designer eine wahre Vielfalt an Möglichkeiten. Je nach Auftraggeber finden wir unterschiedliche Voraussetzungen vor. Der Schritt in ein Büro der Zukunft ist für manche Unternehmen klein. Für manche aber sehr, sehr groß. Es ist und bleibt eine ganz individuelle Sache. Büros werden in Zukunft immer einzigartiger und unterscheidbarer werden.

AIM: Wer braucht und will Veränderung? Oder anders gefragt: Ab welcher Schmerzgrenze kommt Bewegung ins Büro?

OB: Wenn sich beispielsweise das Personal bei der Firmenleitung beschwert: „Unsere Büros sind trist, langweilig und funktionieren nicht mehr!“ – wenn solche Stimmen laut werden, ist Feuer am Dach. Ganz oft geben aber Veränderungen in der Unternehmensgröße den Anstoß. Dabei meine ich jetzt nicht unbedingt ein engeres Zusammenrücken. Beispielsweise Firmen, die wachsende Abteilungen auslagern, haben plötzlich viel Raum übrig. Im Idealfall wird dann im Rahmen eines Entwicklungsprozesses gemeinsam überlegt, wie man heute Büro macht und ausgestaltet. Mit dem Tun kommt dann recht schnell auch Begeisterung und Identifikation – vom Personal bis zur Geschäftsleitung. Dann sollte über einen gewissen Zeitraum, meistens ein Jahr, eine Entscheidungsfindung erfolgen. Am Schluss muss die wichtigste Frage beantwortet sein. Nämlich: Was wollen wir alle? Aber auch wirklich!

AIM: Also die berühmte Gelegenheit beim Schopf packen?

OB: Die Bereitschaft war vielleicht schon vorher da, nur nicht die Gelegenheit. Also ja: Einfach an- und zupacken: Oft braucht es wirtschaftliche Veränderungen, auch Zwänge oder den Wunsch nach Aufbruch. Einfach einen zündenden Funken, der das ganze Ding einfach mal ins Rollen bringt. Manchmal genügt auch nur ein weitblickender Manager …
AIM: … der was ins Auge fassen sollte?

OB: Wer beruflich viel in der Weltgeschichte herumreist, sieht Dinge, die am Businessschreibtisch nie ins Blickfeld rutschen. Je größer die Unternehmen sind, umso mehr funktionieren Manager wie Schwämme, die Ideen aufsaugen. Die gucken, was der Mitbewerb, was Role Models aus innovativeren Industrien treiben – auch in puncto Büro. Die kommen dann teilweise schon mit Bergen von Research zu uns. Die besuchen aber nicht nur die Google-Zentrale oder andere Hightech-Hubs in den USA. Bei unserer Feldforschung dürfen wir auch Fernost nicht vergessen.

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AIM: Haben Sie selbst schon den einen oder anderen Blick riskiert?

OB: Natürlich. Ich bin sehr viel unterwegs und nutze jede Gelegenheit, mir neue innovative Büros anzusehen. Ich war kurz vor Weihnachten erst in Hangzhou, eine für chinesische Verhältnisse kleine Metropole mit knapp zehn Millionen Menschen. Dort bin ich zu einem Immobilienentwickler ins Büro gegangen und habe die Ohren angelegt. Der hat eine Raumsituation geschaffen, die auch bei uns absolut top wäre. Trotz aller Unterschiede im Arbeitsverständnis, in der Kultur, aber auch in der Architektur ist dort neben Work sehr viel Lifestyle schon drin. Ich durfte mich inspirieren lassen und hab viel fotografiert. Ich rate allen: Gehen Sie mit offenen Augen zu Terminen. Und beobachten Sie: Wo hat mein Unternehmen vielleicht Entwicklungsbedarf? Warum wurde jene Lösung gewählt? Ergibt sich daraus ein Vorteil, den ich auch nutzen möchte?

AIM: Ein rein technisches Update für den trendsetzenden Digital Worker genügt also nicht?

OB: Also in der reinen Theorie braucht es in einem Raum nichts anderes als die Technik. Ist diese mobil, ist alles andere egal. In der Praxis sieht das ganz anders aus: Diese digitalen Arbeiter, die als Freelancer zuarbeiten, in Co-Working-Spaces sitzen, zwischen Bali, Miami und Barcelona hin- und herfliegen, sind und bleiben wohl auch zukünftig eine verschwindend kleine Gruppe. Die produktive Wirtschaft – wir sprechen hier von vielen Hunderttausenden Menschen allein in Österreich – braucht jedoch nach wie vor ganz konventionelle Büros. Ganz viele wollen und suchen auch den sozialen Austausch. Sie möchten einen Ort, der sich vom eigenen Zuhause unterscheidet; dabei geht es auch um die viel zitierte Work-Life-Balance. Ich glaube, dass der Arbeitsplatz seine Wichtigkeit nicht verlieren wird, nur weil das Arbeitsgerät es ermöglicht. Der Arbeitsplatz fördert die Identifikation mit dem Unternehmen, ein gewisses berufliches Selbstwertgefühl kann dort buchstäblich Platz greifen. Sehr viel ist also im Büro verortbar und auch notwendig. Innovation findet nur dort statt, wo ich mich persönlich austausche. Was im klassischen Büro passiert, kann ein virtuell-flexibler Kosmos nicht ersetzen – nur ergänzen.

AIM: Funktioniert die tagtägliche „Reise nach Jerusalem“ nach den neuen Office-Spielregeln? Oder hat man auch das Ende des personalisierten Arbeitsplatzes – Stichwort Workplace Sharing – zu früh ausgerufen?

OB: Unter gewissen Voraussetzungen funktioniert es recht gut – aber das tut es nicht automatisch überall: Eine Lösung muss zum Unternehmen und seinem Aufgabenfeld passen und im Einklang mit den Mitarbeitern erarbeitet werden. Der Verwaltungsbereich bietet sich an. Doch auch hier muss genau recherchiert werden. Kommt man zu einem falschen Ergebnis, ist der ganze restliche Prozess im Grunde für die Katz´. Die richtige Person im falschen Umfeld – und schon drohen Effizienz- und Konzentrationsprobleme. Im schlimmsten Fall gehen die Mitarbeiter auch in den Krankenstand. Das Konzept sieht vor, dass gute Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind – und gleichzeitig noch weitere hoch attraktive Bereiche anschließen. Desksharing ohne schlüssiges Design, nach dem Prinzip „First come, first served“ kann und wird nicht klappen! Wenn es von 30 Büroplätzen nur zehn halbwegs gute gibt und der Rest unbeliebt ist, bricht ein tagtäglicher Wettstreit unter den Kollegen aus. Stress, Neid und Missgunst sind so vorprogrammiert. Damit ist das das ganze Geld, das man für den Strukturwandel ausgegeben hat, schon wieder zum Fenster hinausgeschmissen. Dann ist die der schlimmste mögliche Fall schon eingetreten.

AIM: Offenes Arbeiten hat also seine Grenzen …

OB: Es gibt kaum Unternehmen, die komplett offen arbeiten können. Human-Resources-Abteilungen beispielsweise brauchen fixe Plätze und Wände. Datenschutz manifestiert sich eben auch räumlich. Ich hab schon von internationalen Wirtschaftsanwaltskanzleien gehört, die alle Wände weggeräumt haben. Das kann ich mir für Österreich in der aktuellen Situation aber nicht vorstellen. Wenn ein Büro erfolgreich sein soll, muss der Mitarbeiter eine Umgebung vorfinden, die fokussiertes Arbeiten erlaubt: allein – am leisen Schreibtisch im Rückzugsraum, oder aber in der Gruppe – im Meeting-Space. Für eine etwas andere Arbeitsatmosphäre darf es aber auch ruhig die Cafeteria sein, ein heller Raum an der Fassade mit Sofas. Mit dem räumlichen Wechsel kommen neue Ideen, Innovationen entstehen.

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AIM: Ein Plädoyer für mehr räumliche Freiheit …

OB: Ein Arbeitsplatz – also ein Tisch, ein Sessel plus Beleuchtung – ist eine Hochleistungsmaschine, die für alle da sein und daher möglichst neutral sein soll. Diese verändern zu wollen, sie also fancy zu machen, ist ein bisschen vergebene Liebesmühe. Wenn wir aber das Drumherum aufwerten, räumliche Stimmung erzeugen, erleben die Mitarbeiter eine Aufwertung ihrer Arbeitsumgebung.

AIM: Raumvielfalt, Ideenräume – oder doch nur Oberflächenkosmetik: Mit welchen Fragen beschäftigt sich generell die Führungsetage?

OB: Die Entscheider, die mit uns in Kontakt treten, wollen Zonen schaffen, in denen sich ihre Mitarbeiter austauschen können. An Plätzen, wo das Denken über den Tellerrand hinaus leichter möglich wird. Manche schauen auf Bewertungsportale wie kununu. Mehren sich dort die negativen Meldungen über die Arbeitsplatzsituation – und zwar drastisch – entsteht eine Eigendynamik, die die Chefs über Änderungen nachdenken lässt. Andere wiederum wollen im War for Talents über ein räumliches Facelift die Imagekarte ausspielen. Ein attraktives, innovatives Arbeitsumfeld ist nicht nur in der Kreativindustrie viel Wert: Man bekommt die besseren Bewerber, Mitarbeiter sind stolz auf ihr eigenes Unternehmen. Die Identifikation mit dem Arbeitgeber steigt. Unser Kunde Kapsch CarrierCom passt hier in den Rahmen. Ziel war es, ein attraktiveres Bild nach innen und außen abzuliefern. Nach getaner Arbeit – und sehr vielen Feedbackrunden – kann ich behaupten: Es hat geklappt.

AIM: Die Mitarbeiter springen hier immer gleich auf?

OB: Nicht zwingend! Eine freundliche Teeküche mit bequemen Tischen und Sitzen wird niemand ausschlagen. Aber wenn es an den Arbeitsplatz geht, werden sehr viele über lange Jahre gelebte Gewohnheiten hinterfragt. Und nicht jeder Mitarbeiter, ist von der ersten Sekunde an bereit, diese über Bord zu werfen. Da gibt es Widerstände, da gibt es Wünsche, die nicht ausgedrückt werden – und in weiterer Folge Missfallen gegenüber dem Plan. Für das gemeinsame Wollen braucht es Zeit, Moderation und Motivation.

AIM: Abseits aller idealen Wunschvorstellungen: Wie viele Unternehmen sind hierzulande wirklich bereit, neue Wege zu beschreiten? Viele investieren doch in die „Musts“, nicht in die „Nice-to-haves“.

OB: Die Katze beißt sich hier in den Schwanz: Es sind mit Sicherheit die Topperformer, die sich die Zeit nehmen, um so etwas ordentlich zu machen. Diese bieten interessanterweise auch die besten Arbeitsumgebungen. Ich glaube, dass wir weltweit – und damit auch in Österreich – eine ganz starke Demokratisierung der Arbeitsplatzgestaltung haben werden. Was bei den Performern angekommen ist, wird sich irgendwann über den Trickle-down-Effekt auch in der ganzen Wirtschaft abbilden.

AIM: Aus der Nische wird also Mainstream?

OB: Es wird ein wettbewerbsrelevantes Thema für Unternehmen werden. Wir haben den War for Talents angesprochen. Intelligente Bürowelten ziehen die richtigen Brainworker an. Zudem werden Produktivitätssteigerungen andere auf den Zug aufspringen lassen.

AIM: Die Immobilienentwickler hat man auch schon im Boot?

OB: Die ersten steigen schon ein und spielen mit. Sie wissen: Ein gutes räumliches Konzept ermöglicht einem Unternehmen, zu wachsen, aber auch wieder zu schrumpfen – und zwar in einer Immobilie. Je flexibler das mögliche Setting, desto leichter und längerfristig finde ich auch Mieter. Die Chancen steigen wirklich exponentiell. Von diesen gerade reifenden Strategien werden wir sicher künftig noch mehr sehen. Innovation Center wie das Wiener „WeXelerate“, andere Co-Working-Hubs zeigen es vor. Leider sind viele Immobilieneigentümer und Vermieter aktuell noch zu träge. Wenigstens die großen Eigentümer denken zumindest schon sehr offen darüber nach; Lösungen werden mit der Entwicklung neuer Bürokonzepte künftig Hand in Hand gehen.

AIM: Was hören Sie von den Kollegen an der Architekturfront? Wie reagieren diese auf die sich immer schneller drehenden Bürowelten?

OB: Es gilt ja, viele Player zu berücksichtigen. Die Architekten per se würden sehr viel schneller darauf reagieren. Es gibt aber Kostendruck, es gilt, Flächeneffizienzkennzahlen umzusetzen.

AIM: Also auch hier das alte Lied. Wenn wir nur könnten, wie wir wollten …

OB: So ist es. Und man muss auch offen sagen: Wir hier in Österreich hinken ganz deutlich hintennach. In Märkten und Regionen, die unter einem wesentlich höheren Innovationsdruck stehen, entstehen auch andere Gebäude. Bereist man andere Länder, etwa die USA oder China, so sieht man dort ganz andere Büroimmobilien aus dem Boden wachsen.

AIM: An welche denken Sie hier?

OB: Die Zentrale des neu gegründeten Elektroautomobilherstellers NIO in Schanghai beispielsweise. Dort entsteht sehr viel Volumen in neuen Bürotürmen, das im Vergleich zu unseren Bauten vielleicht um 15 Prozent weniger effizient, aber dafür oft deutlich qualitätvoller ist. Ich rede jetzt nicht von auskragenden, runden, expressiven Formen, die zum Ausdruck bringen sollen: „Ich bin neu.“ Ich spreche davon, räumliche Qualität in einem Büro unterzubringen, damit sich Mitarbeiter wohlfühlen. Da ist China am Neubausektor längst in der Avantgarde angekommen. Österreich eher noch nicht. Hierzulande sind die schönsten Büros in Bestandsgebäuden, in irgendwelchen Industriehallen – alten Webereien und Druckereien – untergebracht. Warum? Weil die Architektur, die wir gerade bauen, die räumliche Qualität meist nicht mehr hergibt. Weil die Immobilienentwickler immer noch – und fast nur – über den Quadratmeter denken. Das kann ich zwar nachvollziehen und verstehen: Jedoch haben wir in Österreich und speziell in Wien jetzt schon einen ziemlichen Überhang an aktuellen Büroflächen. Und die müssen schon was können, um Mieter zu finden. Einfach nur trocken und warm sein, das reicht nicht mehr.

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AIM: Was fehlt?

OB: Die Bürohäuser oder -türme, die aktuell hochgezogen werden, weisen einen ganz groben Mangel auf: Zugunsten der Flächeneffizienz wird beispielsweise auf ein Foyer, das diesen Namen auch verdient, verzichtet. Stattdessen entstehen leere Hallen, die als Identifikationsraum versagen. Dadurch geht auch Adressierbarkeit verloren. In den Stockwerken selbst sind oftmals Umbaumaßnahmen durch Neumieter notwendig, um eine halbwegs menschlich-zivilisierte Eingangssituation herzustellen. Warum? Weil von den Auftraggebern immer von Einzelmietern ausgegangen wird. Für diese werden dann von den Architekten ganze Etagen mit hocheffizienten Arbeitsplätzen gepflastert. Später steht man am Eingang eines innovativen Unternehmens, gleichzeitig aber nur vor einem kleinen Front Desk und einem unsäglich schrecklichen Wartebereich, der in keiner Relation zu dem steht, was das Unternehmen beispielsweise für PR ausgibt. Das Unternehmen, das Power hat und das in seiner Präsentation auch so rüberkommt, wird dem im Headoffice dann ganz augenscheinlich nicht gerecht. Man tritt ein und denkt sich vielmehr: Was ist hier los? Es sieht ein bisschen so aus wie beim Vorstadtzahnarzt.

AIM: Wo wird bessere Büroarchitektur gebaut? Wer hat die Nase vorn?

OB: Die Märkte, auf die ich und mein Team immer wieder gerne schauen: China, Singapur, aber auch die USA oder Skandinavien. In Asien wird in rauen Mengen gebaut, interessant sind vor allem die Leuchtturmprojekte. Die große Masse ist wie fast überall wenig attraktiv. Sobald man aus den großen Metropolen draußen ist, steht auch dort das Geld für den Quadratmeter nicht mehr zur Verfügung. Die Architektur wird sofort konventioneller. Europa ist meines Erachtens auf dem Mittelweg. Es gibt Orte, wo das Kapital zu Hause ist; an denen sehr gute Architektur gebaut wird. München und Frankfurt zeigen viel Schönes. Dann gibt es immer wieder mal tolle Einzelbeispiele von Unternehmen, die sich ganz hervorragende Architektur gebaut haben – auch in Österreich: Der Erste Bank Campus ist bei allen Kritikpunkten, die man daran haben kann, immer noch ein sehr gelungenes Projekt, das einen ausgeprägten Vorbildcharakter hat. In Europa sind wir per se nicht nur schlecht unterwegs. Ich glaube aber, dass die meisten Investoren der Mut verlassen hat. Weil der Markt so gesättigt ist – und alle auf Nummer sicher gehen wollen. Resultat sind Standardmodelle in mehr oder weniger simplifizierter Form.

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AIM: Haben Sie ein absolutes Negativbeispiel für mich? Was ist top neu, aber auch top daneben?

OB: Aktuell sind gerade einige Büroobjekte in Wien fertig geworden. Einige sind hier definitiv danebengegangen. Hier soll und kann jeder selbst auswählen. Mein Tipp: Die Lobby zeigt, ob ein Gebäude funktionieren kann – oder eben nicht. Ist der Gestaltungswille dort nicht ablesbar, nur Platz für einen kleinen Front Desk und einen verlorenen Gummibaum, merkt man, dass in der Arbeit des Architekten etwas schiefgegangen ist.

AIM: In Wien wachsen, wie Sie auch schon angesprochen haben, die Büroflächen nur so aus dem Boden. Und es wird noch einiges dazukommen. Was tun mit dem Altbestand?

OB: Wien hat eine absolute Luxussituation. Es gibt sehr große, qualitativ hochwertige Altbestände im Dornröschenschlaf. Gebäude, die in den 1980er- oder 1990er-Jahren zum letzten Mal saniert worden sind, sehen oft schrecklich aus, haben aber ein riesiges Potenzial. Würde man diese anfassen, kämen die traumhaftesten Umgebungen raus. Wir brauchen nicht die Vollglasfassade, nicht das allerhellste Büro. Mitarbeiter sind gewillt, mit allen Einschränkungen eines Gebäudes zu leben und das auch zu akzeptieren, wenn das Gebäude selber für sie nutzbar ist. Wurden früher Büros in historischen Beständen nach gewissen Faktoren einfach runtersaniert, so hat man heute ganz andere gestalterische Möglichkeiten, um diesen Räumen wieder Qualität zu verleihen. Was herauskommt, ist oft sensationell. Deswegen sitzen auch wir hier in einem Altbau.

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AIM: Und nicht irgendwo: Sondern in einem Palais „Am Hof“ im 1. Bezirk: Liegt es an der Qualität des Raumes? An der Adresse?

OB: Die Prestigeadresse war Zufall. Ein Partner von uns hat diese Fläche aufgetan, auf sehr unkonventionellem Wege. Aber mehr verrate ich nicht. An ihr ist nichts 08/15. Und das ist perfekt. Denn: Der Nichtstandard ist meine Welt. Manche Räume sind nicht einmal belichtet. Das hat viele potenzielle Vormieter abgeschreckt. In einer dieser dunklen Kammern ist jetzt unsere Wohnküche untergebracht. Mittlerweile einer der beliebtesten Ort der Mitarbeiter. Maßgeschneiderte Lösungen sind unsere Stärke, das zeigen wir mit unserem eigenen Office. Es geht nicht um die Luxuslösung, nicht um das Büro mit dem vergoldeten Wasserhahn. Sondern um coole Räume, in denen sich Menschen wohlfühlen. Die Stadt mitsamt ihrer grauen Energie muss genutzt werden und belebt bleiben. Es gibt kaum einen besseren Ort als diese Büroumgebung. Wir haben hier diesen superschönen Schanigarten im Sommer. Mittags raussetzen, was essen. Einfach angenehm. Die Atmosphäre ist kleinstädtisch, ja kleinmaßstäblich. Ich bin jetzt nicht der Typ, der als Nummer 45 relativ anonym im Bürotower sitzt. Dagegen ist nichts einzuwenden, es ist aber vom Ambiente her wirklich nichts für mich! Wir haben hier gleich zwei Eingänge. Das Haus hat nur wenige Klingelschilder. So finde ich es einfach nur gut.

AIM: Danke für das Gespräch!

Frage an den Mitarbeiter: Mögen Sie den Sessel in Grün oder Rot? Antwort: Ist mir egal. (Eigentlich ist er viel zu hart.) „Der zweite – entscheidende – Teil der Antwort wird im Regelfall aber nicht gegeben, fällt somit unter den Tisch“, sagt Oliver Bertram. „Die Arbeitsplatzlösung, die in einem solchen Befragungssetting schlussendlich herauskommt, ist somit weit davon entfernt, perfekt zu sein.“ Damit keine relevanten Informationen im Rahmen eines gemeinschaftlichen Diskussionsprozesses – dem eine klassische Bedarfserhebung vorangestellt werden sollte – verloren gehen, plädiert er für ein Prozedere, das alle Karten offenlegt und in dessen Verlauf die entscheidenden Würfel fallen.

Warum Mitarbeiter mit ihrer eigentlichen Meinung hinterm Berg halten, mag laut Bertram viele Gründe haben: Angst, Taktik, andere strategische Überlegungen. Um diese möglichst zu vermeiden und ausschalten zu können, müsse seiner Erfahrung nach ein möglichst offenes Forum – in Stufe eins nur für Mitarbeiter – eingerichtet und erst mal zugehört werden. Wird auch noch richtig, sprich in Maßen, von einer unabhängigen Stimme von außen moderiert, verselbstständige sich die Diskussion, wie ihn die Erfahrung gelehrt hat.

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Am Ende des Zuhörens stehen Wände voller Post-its, die, nach Themen sortiert, dem Management für eine erste Bestandsaufnahme zur Verfügung gestellt werden, erklärt Bertram das Wideshot-Verfahren. Daraus könne abgelesen werden, wo es wirklich rumort. Manchmal komme aber auch sehr viel Lob. Ab diesem Punkt gilt es, den Boden gemeinsam aufzubereiten – und das Management mit ins Boot zu holen. „Es beginnt die wichtige Stufe zwei im Prozess, bei dem es kein richtig oder falsch gibt“, so der Mitmoderator. Hier sollen nun alle Beteiligten zu den Wideshot-Würfeln greifen, um ganz persönliche Stimmungsbilder zu setzen. Frei nach dem Motto: Ein Bild sagt mehr als tausend Wort!

Spielerisch wird über mehrere Phasen und inhaltliche Schwerpunkte darüber entschieden, wie ein Büro en gros und en détail aussehen sollte. „Das ist ein sehr heikler Prozess. Mit der Macht der Bilder werden Antwort-Vermeidungsstrategien so weit wie möglich ausgeschlossen. Jeder soll ausdrücken, was er zu ganz speziellen Fragen wirklich denkt und fühlt. Fallen die Würfel, hat sich das Bauchgefühl durchgesetzt und entschieden.“

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Datum: 26.07.2018

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