VfGH-Urteil: Gründerzeitkuriosum wird fortgesetzt
Die jüngsten Schiedssprüche des VfGH, die das Verbot von Lagezuschlägen auf Mietwohnungen in Gründerzeitvierteln, die unterschiedlichen Bundesländerrichtwerte sowie den pauschalen Befristungsabschlag wohl einzementieren dürften, schlagen weiter hohe Wellen. Während Vertreter der Arbeiterkammer, die Mietervereinigung und Teile der Politik die jüngsten Entscheidungen begrüßen, sehen sich der österreichische Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI) und Rechtsexperte Christoph Kothbauer im Regen stehen gelassen. Auch Zinshausfachmann Gerhard Hudej spricht von einer „kritikwürdigen“ Entscheidung.
Kothbauer sieht die Diskussion um die Richtwerte, zu der sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) aus formalen Gründen nicht äußern musste, weiter auf die lange Bank geschoben, wie er bei einem Pressetermin des ÖVI betonte. Die Diskrepanz zwischen Marktwert und Richtwert, die sich in Bestlagen besonders in Wien feststellen ließe, bliebe so fürs Erste in Stein gemeißelt – wäre aber keinesfalls ökonomisch, aber auch nicht rechtlich zu erklären.
Damit würden beispielsweise bei einer dem Richtwert unterliegenden Altbauwohnung in der Bundeshauptstadt weiter 5,39 Euro je Quadratmeter als Ausgangwert angenommen, in der Steiermark aber satte 7,44 Euro – „obwohl die durchschnittliche Marktmiete in Wien um drei Euro höher zu veranschlagen sei als jene in der Steiermark“, wie Kothbauer gallig anmerkte.
Antiquierte Zonierung
Auch die Diskriminierung des Altbaus – betroffen sind hier die ausgewiesenen Wiener Gründerzeitviertel, die vor gut 100 Jahren errichtet wurden und laut ÖVI heute zu einem Gutteil saniert sind – feiert für ihn weiter fröhliche Urständ´. Die „Rechtsgrenze“, die auf überholten Marktgegebenheiten basiere, laufe dieser Tage faktisch durch gleichwertige Lagen. Es sei vergleichsweise absurd, sich aus dieser antiquierten Zonierung im Laufe der Zeit durch Abbruch alter Häuser und Errichtung neuer Gebäude herauskaufen zu können, so der Experte.
Auch die sozialpolitische Zielsetzung, auf die sich der VfGH in seiner Urteilsbegründung berufen hat, ist für Kothbauer nicht nachvollziehbar. Er ortet allerdings eine „sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung innerhalb des Preisschutzes“.
Forderung: „Politik muss Heft in die Hand nehmen“
ÖVI-Präsident Georg Flödl forderte den Gesetzgeber auf, sich nicht weiter zurückzulehnen und mit einer Politik der kleinen Schritte die Weichen neu zu stellen – ohne permanent auf die Entscheidungen der Gerichte zu schielen oder diese auszusitzen. Er sprach sich beim Pressetermin für die Schaffung neuer Investitionsreize aus, um mittel- und langfristig den steigenden Bedarf an Wohnraum befrieden zu können. Ebenso wichtig sei, „eine zeitgemäße Adaptierung des Lagebegriffs im Richtwertgesetz".
Die soziale Treffsicherheit soll nach Meinung Flödls über einen periodischen Mieternachweis, der Einkommens- und Vermögensindikatoren berücksichtige, erhöht werden. „Eines der zentralen Themen im VfGH-Erkenntnis ist die sozialpolitische Argumentation“, so der Präsident des ÖVI. Wenn in einem Land wie Österreich 60 Prozent der Haushalte durch den sozialen Wohnbau versorgt werden, dürfe die Frage der Leistbarkeit nicht vorrangig auf dem Rücken der der privaten Vermieter gespielt werden.
Hudej: Urteil ist kritikwürdig – ebenso die Mietervereinigung
Für Zinshausspezialist Gerhard Hudej ist das Urteil des Verfassungsgerichtshofes „selbstverständlich zu respektieren“, bleibe aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht dennoch „kritikwürdig“. Denn Zinshauseigentümer bräuchten vernünftige Einnahmen, um ihre Liegenschaften in gutem Zustand erhalten zu können, wie der Chef von Hudej Zinshausmakler nachdrücklich betont. Die künstliche Deckelung des Mietzinses würde diese Aufgabe erschweren.
Das Bild vom bösen – dem Mieter nur Geld aus der Tasche ziehenden – Vermieter, das laut Hudej gern von der Mietervereinigung heraufbeschworen würde, sei hier eindeutig fehl am Platz. Ebenso wie der von der Interessensvertretung gegen den Lagezuschlag in Gründerzeitvierteln eingebrachte Vorwand, sich Investitionen der öffentlichen Hand zunutze zu machen, für die ohnehin schon die Steuerzahler bezahlt hätten. Hudej: „Diese Argumentation ist absurd. Jeder Unternehmer und jeder Betrieb profitiert davon, dass in besseren Lagen höhere Preise bezahlt werden. Ein Geschäft oder Hotel am Graben wird in der Regel höhere Preise verlangen als eines in weniger bevorzugter Lage. Niemand erhebt hier den Vorwurf, der Unternehmer mache sich in unredlicher Weise kommunale Investitionen zunutze.“
„Sozialaufgabe wird auf Privatleute überwälzt“
Dass der Staat sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit geben soll, in guten Lagen günstig Wohnraum anzumieten, stellt Hudej außer Frage. Er will dies jedoch nicht auf dem Rücken privater Eigentümer finanzieren lassen, indem man diesen künstliche Preisobergrenzen vorschreibe. „Damit wird eine eigentlich staatliche Aufgabe – nämlich die Unterstützung sozial benachteiligter Gruppen – auf die Privatwirtschaft überwälzt“, so Hudej.