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TU plant runde Vierecke

Architektur entwickelt Ideen aus mathematischer Grundlagenforschung: Mit dem umfassenden Know-how der Technischen Universität Wien entsteht in der Türkei ein neuer High-Tech-Technologiepark.

Wer moderne Gebäude mit freien, gewagten Formen planen will, steht vor großen Herausforderungen. Phantasievoll gekrümmte Gebäudeflächen sehen gut aus, sind aber kompliziert zu bauen und kosten oft viel Geld. Von der TU Wien und Partnerunternehmen aus der Wirtschaft wurden nun Ergebnisse aus der modernen Mathematik verwendet, um neue Planungsmethoden zu entwickeln. Das an der Forschung beteiligte Architektenduo Sigrid Brell-Cokcan (Institut für Architekturwissenschaften- digitale Architektur, TU Wien) und Baris Cokcan (Institut für Architekturwissenschaften -Tragwerksplanung und Ingenieurholzbau, TU Wien) setzt diese Methoden – basierend auf einem österreichischen Patent – nun in ihrem ersten großen Bauprojekt in der türkischen Stadt Düzce um.

Gewölbte Fassade
Passenderweise ist es gerade ein Technologiezentrum, das nun mit Hilfe der neuen Entwurfsmethoden errichtet werden soll – in Düzce, etwa auf halbem Weg zwischen Istanbul und Ankara. Der Gebäudeplan ähnelt einer liegenden Acht: „Wir haben uns vom Symbol für Unendlichkeit inspirieren lassen“, erklärt Sigrid Brell-Cokcan. Große Tragkonstruktionen aus Holz tragen die doppelte Außenhaut aus Glas und Leichtbeton – zusammengesetzt aus hunderten viereckigen Einzelteilen. Nur durch komplizierte mathematische Methoden wurde es möglich, die fast ebenen Vierecke zu einem komplexen, organisch-runden 3D-Puzzle zusammenzufügen.

Dreiecke sind einfach, Vierecke sind besser
Runde Formen durch viele einzelne Dreiecke anzunähern, ist kein Problem – in der Mathematik bezeichnet man das als Triangulierung. Drei beliebige Punkte im Raum liegen immer in einer gemeinsamen Ebene – zwischen drei Eckpunkten lässt sich immer eine gerade Platte einfügen. In der Praxis sind Dreiecke aber keine besonders nützliche Form: „Bauen wir unsere Fassaden aus Dreiecken zusammen, haben wir viel Unterkonstruktion und benötigen mehr Fugen“, sagt Brell-Cokcan. Jede Fuge kostet Geld – besonders, wenn die Platten immer durch komplizierte Holzverstrebungen verbunden werden müssen. „Andere Formen zu verwenden, zum Beispiel Vierecke, kann 25 bis 30 Prozent der Fassaden-Kosten sparen“, erklärt die Architektin.

Mathematik Spin-off-Unternehmen
In der von Prof. Helmut Pottmann geleiteten Forschungsgruppe für geometrische Modellierung und industrielle Geometrie am Institut für diskrete Mathematik und Geometrie der TU Wien arbeitet man schon seit Jahren an solchen geometrischen Problemen. Mit der Firma „Evolute“ entstand sogar ein Spin-off-Unternehmen, das die mathematischen Forschungsergebnisse in kommerzielle Software für Architekturbüros umsetzt. Einer der daran beteiligten Forscher ist Alexander Schiftner. „Zerlegt man eine beliebige Form in viereckige Abschnitte, liegen die entstehenden Vierecke nicht mehr notwendigerweise in einer gemeinsamen Ebene“, erklärt er. „Man kann aber mit mathematischen Methoden eine Vierecks-Unterteilung finden, die möglichst nah am Ideal der ebenen Einzel-Komponenten bleibt.“ Je nach Material kann ein bestimmter Grad von Verbiegung erlaubt werden: Leichtbeton und Holz lassen sich besser biegen als Glas. Der Computer findet einen Kompromiss zwischen der gestalterischen Vision und dem technischen Machbaren. Die kreativen Möglichkeiten der Architektur werden durch die Mathematik erweitert.

Energieeffizienz
Der Technologiepark in Düzce soll ein Plus-Energie-Gebäude werden: Es erzeugt mehr Elektrizität als es selbst benötigt. Die mathematisch optimierte doppelte Außenhaut spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Erdwärme erzeugt in der Hülle einen zirkulierenden Luftstrom, der im Sommer kühlt und im Winter wärmt. Außerdem bekommt das Gebäude eine Pellets-Heizung und eine Photovoltaik-Anlage. Das Gebäude wird eine Gesamt-Nutzfläche von 13.000 Quadratmetern haben, und mit fünf Etagen eine Maximalhöhe von 20 Metern erreichen. Und nicht zuletzt wird es ein eindrucksvoller Beweis dafür sein, dass Mathematik sowohl anwendungstauglich als auch schön sein kann.

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Datum: 20.04.2012

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